Bayerwaldbote Zwiesel
„Portrait der Woche“
„Schweigen würde mich
zerreißen“
Der Zwiesler Helmut Geiss komponiert seit 40 Jahren
zeitkritische Lieder
Helmut Geiss alias „Geiss Haejm“ gehört zur Elite der bayerischen
Dialekt-Musikliteraten. Mit „Harakire um hoiwe Viere“ hat er jetzt seine 30. CD
vorgelegt.
Von Simone Sälzer und Erwin
Steckbauer Zwiesel. Dick eingemummt mit Winterjacke und Mütze spaziert Helmut Geiss mit seiner Frau und der Enkelin über die schneebedeckten Wiesen in Zwiesel. Es scheint, als sauge er die wärmenden Sonnenstrahlen auf. Der 57-Jährige wirkt ruhig und in sich gekehrt. „Aus der Natur schöpfe ich die Kraft“, sagt er. Kaum zu glauben, dass der Zwiesler seit 40 Jahren mit seinen zeitkritischen Mundart-Liedern als „musikalischer Rebell“ gilt. 620 Lieder und 100 Instrumentalstücke hat er bisher komponiert, daneben seinen Gedanken auch in Büchern und Malerei Ausdruck verliehen. „Wenn ich schweigen müsste, würde es mich zerreißen.“ Musik sei für ihn so wichtig wie Essen und Trinken, sagt Helmut Geiss, der in der Musikerszene vor allem unter dem Namen „Geiss Haejm“ bekannt ist. „Lieder sind das wichtigste Mittel, um Gehör zu finden.“ Bereits mit 14 Jahren ist er Bassist in einer Rock- und Bluesband. „Damals haben wir allerdings noch auf Englisch gesungen“, erinnert er sich, „deutsche Texte wurden belächelt.“ Dennoch will er in den Sechzigerjahren - beeinflusst von Bob Dylan, aber auch Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky - deutsche Lieder komponieren. Mit 19 Jahren zieht der gelernte Apparateglasbläser nach Berlin, macht eine Umschulung zum Erzieher. Seine zeitkritischen Texte will er in die Öffentlichkeit tragen und erobert nach und nach die Kleinkunstbühnen. „Ich war ein Träumer, ein Weltverbesserer“, sagt Geiss und blickt nachdenklich auf die verschneite Landschaft. „Meine Lieder waren gesungene Predigten.“ Vor allem Gewalt und Umweltzerstörung regen den Pazifisten damals auf. Die Augen des nach außen so ruhig wirkenden Mannes blitzen plötzlich auf. Man merkt, dass ihn so manches auch heute noch bewegt. Doch auch das Hochdeutsche bleibt letztendlich für ihn eine Art Fremdsprache. „So richtig wohl fühle ich mich nur in der Mundart.“ Ab 1970 schreibt er seine Lieder, die er meist mit der Gitarre begleitet, auf bairisch. „Wohl fühle ich mich nur in der Mundart“ Ende der Siebzigerjahre nimmt er eine Stelle als
Internatsleiter in Bad Wörishofen an. „Von der Musik allein hätte ich damals
nicht leben können“, sagt er. Wenig später schon, denn Mitte der Achtzigerjahre
feiert er seine größten Erfolge - doch er will keine Kommerzialisierung seiner
Lieder. Das Schönste für ihn sind die Bardentreffen in Nürnberg und sein
Auftritt in Wackersdorf. „Ich dachte, ich könnte mich auf den Beifall
drauflegen.“ Geiss’ Augen leuchten - auch wenn er zugibt, die Bühne sei nie
sein Leben gewesen, er habe sich immer mehr als Komponist gefühlt. Tschernobyl als tiefer Einschnitt Doch bald darauf folgt
ein tiefer
Einschnitt in sein Musikerleben: Tschernobyl. Helmut Geiss schweigt,
man hört
nur das Knirschen des Schnees. „Ich dachte mir damals, wenn die
Leute jetzt
nicht merken, was los ist, kann ich mit meinen Liedern auch nichts mehr
bewegen.“ Er will sich von der Bühne zurückziehen, sich
mehr seinen Gedichten,
Geschichten, Theaterstücken und Bildern widmen - auch wenn viele
Engagements an
ihn herangetragen werden. Alle ein bis zwei Jahre bringt er eine neue
Platte
oder ein neues Buch heraus. Anfang der Neunzigerjahre will er wieder in
den
„Woid“ zurück, wie er sagt. Er übernimmt die
Leitung der Lebenshilfe-Wohnheime.
Sein letztes großes Werk sind 20 CDs, die er mit insgesamt 500
alten und neuen
Liedern im Jahr 2000 herausbringt. „Seitdem versuche ich mir das
Komponieren
abzugewöhnen“, sagt er und schmunzelt. Doch erst vor kurzem
brachte er seine 30. CD mit dem Titel „Harakire um hoiwe
viere“ heraus.
„Wenn mich etwas bewegt, muss ich es einfach auf Papier
bringen.“ So komponiert
er nicht nur Lieder, schreibt Bücher oder malt Bilder -
mittlerweile hat er
auch fast 200 Leserbriefe an verschiedene Zeitungen geschickt. Mehr Informationen zum Liedermacher Helmut Geiss unter www.freigeisst.de. |