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11.12.16 Dylan zur Imagepflege?Gastbeitrag an PNP-Feuilleton

Manche Kritiker verweisen auf die viele namenlosen Autoren, die unter
schwierigen politischen Verhältnissen schreiben und dringend gefördert
gehörten und die vom Schreibformat her mehr den gängigen Vorstellungen von
Literatur entsprechen. Und nun wird einer geehrt, der diese Ehrung gar nicht
nötig hat, weil er eine lebende Legende ist.
Robert Allan Zimmermann, hat als Bob Dylan viele Menschen bewegt und in
ihren Köpfen Türen aufgestoßen. Auch mich ließ er vor fünfzig Jahren
Tomahawk und Silberbüchse in die Ecke stellen und zur Gitarre greifen.
Gewiss habe ich durch meine bescheidenen Englischkenntnisse noch manches in
seine bildreichen Texte hineininterpretiert, das dort gar nicht vorhanden
war, aber Bobs Gesang regte die Phantasie an. Ebenso inspirierte sein
sprachlicher Vortrag und die musikalische Form. Auch sein für Fans
ärgerlicher Stilwechsel, mit dem er uns vor den Kopf stieß, ist - mit
Abstand betrachtet - eine bedeutsame Leistung, er hat damit auch uns in
Bewegung gehalten.
Auch Dylans Art zu Singen hat die geltenden Regeln obsolet gemacht. Etwa
Sprechgesang im Wechsel mit größtmöglicher Melodiösität. Oder sein
Improvisationsgenie, das bei Nacheiferern geradezu Schalter in den Köpfen
umlegte. So wurden auch schreibende Musiker wie ich, die kein Orpheus waren,
ermuntert auf die Bühne zu gehen und dem zum Blabla verkommenen Gedudel des
Zeitgeistes wieder Worte zu geben.
Auch Dylans Manie, ein Lied jedes Mal anders zu interpretieren, so dass man
sich freute, wenn man es wiedererkennt, hatte man vorher so noch nicht
gehört. Dylan hat damit seine eigenen Meisterwerke demontiert und wortlos zu
verstehen gegeben: nichts ist fertig, es kann so, aber auch ganz anders
sein. Fazit: Dylan hat den Preis verdient, keine Frage. Tatsächlich wird
aber nicht er geehrt, sondern das Nobelpreis-Komitee versucht sich mit ihm
zu schmücken und aus selbstverschuldetem Zwielicht wegen völlig verfehlter
Preisvergaben in der Vergangenheit zu rücken. Dass der Geehrte nicht
hinfährt und sich für das Theater nicht hergibt, zeichnet ihn ebenfalls aus.

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PS: Hier Ständchen zum Nobelpreis mit freien bayrischen Nachdichtungen von Dylan-Songs
http://www.hgeiss.de/lieder/dylan.htm