Sünden auf 702 Seiten
Der amerikanische Geheimdienst CIA öffnet seine jahrzehntealten Akten
- sie belegen den Mordversuch an Kubas Machthaber Fidel Castro
Von Christian Wernicke
Washington - Fünf Seiten dünn ist die Akte "Johnny Roselli". Aber
der Stoff ist dick genug, um als grober Entwurf eines Hollywood-Drehbuchs
zu dienen. Es steht ja fast alles drin, in 22 Absätzen. Klar und schlicht
geschrieben, für Laien verständlicher als viele der sonstigen Memos,
welche die CIA in der Nacht zum Mittwoch kompakt veröffentlichte. "Johnny
Roselli", das ist der Polit-Krimi in diesem bisher streng vertraulichen
Rechenschaftsbericht von Amerikas Geheimdienst. Und er handelt davon, dass
die CIA den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro ermorden lassen
wollte.
Absatz Eins: Die CIA beauftragt im August 1960 einen Mittelsmann, "eine
gangstergleiche Aktion" zu planen: "Das Ziel des Einsatzes war Fidel Castro."
Absatz 4: Ein gewisser Robert A. Maheu, laut anderer Quelle einst FBI-Agent,
nimmt Kontakt auf zu Johnny Roselli - ein Mafiosi, der "als hochrangiges
Mitglied des Syndikats" alle Eismaschinen auf dem Strip" in Las Vegas
kontrolliert. Absatz 5: Getarnt als Geschäftsmann bietet Maheu der Mafia
150 000 Dollar für die Ermordung Castros. Die Absätze 6, 7 und
8: Maheu und ein hoher CIA-Beamter treffen "Sam Gold" und "Joe" im Hilton
Plaza Hotel zu New York. Die Mafia lehnt das Kopfgeld für den "Maximo
Lider" ab, bittet jedoch um Lieferung von "potenten Pillen, die in Castros
Essen oder Getränke platziert werden könnten. Wochen später
blättert Maheu in einer Illustrierten und entdeckt ein Foto, das "Sam"
als Momo Salvatore Giancana, den obersten Paten von Chicago, und Santos
Trafficant, Verbindungsmann der Cosa Nostra auf Kuba, identifiziert. In Absatz
9 meldet die CIA die Produktion von "sechs Pillen von hochgradig tödlichem
Inhalt", Absatz 10 bedauert: Der Mafia-Scherge auf Kuba kommt nicht voran,
"kriegt scheinbar kalte Füße und bittet um Entbindung von seinem
Auftrag".
Der Versuch, Amerikas karibischen Erzfeind zu töten, scheitert am Ende.
Schlimmer noch: Im November 1970 beginnt Johnny Roselli - inzwischen im
Fadenkreuz des FBIs - zu plaudern. Der Journalist Jack Anderson enthüllt
die Machenschaften der CIA, fünf Jahre später verschwindet der
Mafiosi. Seine elende Leiche wird letztlich nahe Miami Beach in einem
Ölfass gefunden.
Ja, so ging es zu bei der Central Intelligence Agency. Früher jedenfalls.
Heute sei alles anders, versichert General Michael V. Hayden, der aktuelle
CIA-Chef: Spätestens seit Mitte der 70er Jahre, als der Kongress den
Watergate-Skandal untersuchte, stehe seine Behörde unter strikter Aufsicht
"und das gibt der CIA einen weitaus stärkeren Platz in unserem
demokratischen System." Alles, was seine Untergebenen heute so trieben, geschehe
"in einem mächtigen Rahmen von Gesetz und Überprüfung". Auch
und gerade jetzt, da die Geheimdienste im "War on Terror" wieder gefordert
seien.
Solch ein Treueschwur auf Recht und US-Verfassung tut not. Denn auf den exakt
702 Seiten Papier, die die CIA in der Nacht zum Mittwoch veröffentlichte,
finden sich haufenweise Beweise für illegalen Operationen der
Schlapphüte: Komplotte zur Ermordung von mindestens drei linken Staatschefs,
widerrechtliche Aktionen der eigentlich aufs Ausland beschränkten CIA
an der Heimatfront (darunter die Erfassung von mehr als 300 000 angeblichen
Kommunisten und Gegnern des Vietnamkriegs), tödliche Experimente mit
Drogen und Psychopharmaka. Und Indizien dafür, dass die CIA 1972 beim
Einbruch ins Watergate-Hotel vielleicht mithalf, einen Experten zum Knacken
von Türschlössern zu rekrutieren. Es ist das (angebliche komplette)
Sündenregister der CIA, zumindest für die ersten 26 Jahre seiner
Existenz.
Getrieben von der Sorge, der Watergate-Skandal in Washington könne
hinüberschwappen bis in die CIA-Zentrale in Langley/Virginia, hatte
der damalige Geheimdienst-Direktor James R. Schlesinger vorbauen wollen:
Am 9. Mai 1973 ordnete er an, man möge ihm umgehend ein Dossier über
alle potentiell illegalen Operationen seiner Behörde zusammenstellen.
Genau diese streng geheime Verschlusssache, seit 34 Jahren als "die
Familien-Juwelen" der CIA bekannt und bis dato doch abgestempelt als "Secret,
Eyes Only", hat Hayden jetzt ins Internet gestellt. Der General versteht
das als Akt der Volksaufklärung, schließlich biete sein Haus damit
der amerikanischen Öffentlichkeit "ein Fenster in die Komplexitäten
geheimdienstlicher Arbeit."
Das meiste, was Hayden nun preisgibt, ist freilich so neu nicht. Potentiell
brisante Details wurden getilgt, viele Splitter der Juwelen sind deshalb
leere Seiten. Und etliche der alten Skandale wurden längst enthüllt
- von Reportern aufgeschrieben, in Memoiren ehemaliger CIA-Chefs gebeichtet,
von Untersuchungsausschüssen auf dem Kapitol durchleuchtet. Für
etwas Aufregung sorgt zum Beispiel, dass die CIA Ende der sechziger Jahre
massiv die lokale Polizei im Raum Washington aufrüstete: Gasmasken,
Betäubungsgewehre, Suchscheinwerfer und Schutzwesten lieferte die CIA,
die fürchtete, der vermeintliche Mob wolle ihre Zentrale am Ufer des
Potomac stürmen. Zudem wurden 20 Polizisten besonders geschult - zum
besseren Umgang mit Überwachungskameras und in sogenannter "Gegen-Sabotage".
All das war laut dem National Security Act, dem Gesetz zur Gründung
der CIA, strikt untersagt - genauso wie die Überwachung vermeintlich
subversiver Journalisten, die Anfang der siebziger Jahre so manchem
CIA-Verstoß gegen das Gesetz auf die Schliche kamen.
Vermerk über John Lennon
Farbiger und ausführlicher als bisher erfährt der interessierte
Bürger zudem, wie die CIA im Auftrag der Präsidenten Lyndon B.
Johnson und Richard Nixon die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre
überwachte. 7200 Akten über Verdächtige Individuen wurden
angelegt, die Operation unter dem Decknamen "Chaos" währte sieben Jahre.
1972 geriet auch "ein britisches Subjekt" ins Fadenkreuz, der Protestler
mit Spenden förderte: Der Beatle John Lennon. Etlichen Beamte störten
sich daran, dass ihre Chefs sie anhielten, die Bürgerrechte zu verletzen:
Ein Aktenvermerk registriert Beschwerden - und offenbart den Unwillen der
Agenten, sich zur Tarnung lange Haare und Bärte wachsen zu lassen.
Amerikas Geheimdienstexperten machen sich nun daran, die 702 Seiten exakt
auszuwerten. Sie wollen genau nachlesen, wie die CIA auch ausländische
Spezialkräfte schulte, die dann als Doppelagenten nebenher Informationen
nach Langley lieferten.
Und nicht alle Analytiker glauben General Hayden, dass die CIA sich heute
streng an die Gesetze hält. Wie damals zu Zeiten des Vietnamkriegs billigte
auch die Bush-Regierung schließlich ein Programm zur Überwachung
von Telefonaten. Und heute kommen obendrein Millionen von E-mails hinzu.
"Diese Dokumente zeigen uns das Schlimmste vom Schlimmen damals", sagt James
Bamford, Autor mehrerer Bücher über die US-Geheimdienste, "aber
was heute passiert, dass lässt die Familien-Juwelen erblassen."
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.146, Donnerstag, den 28. Juni 2007