Wie man einen Krieg verliert
Wer Tornados nach Afghanistan schickt, hilft den Taliban. Mit Lehrern und Ärzten hingegen wären sie zu bekämpfen Von Reinhard Erös
In wenigen Wochen sollen deutsche Aufklärungs-Tornados am Hindukusch helfen, endlich einen Krieg zu gewinnen. Es ist ein Krieg, der eigentlich gar keiner werden sollte: Die internationale Schutztruppe Isaf war vor fünf Jahren mit 20 000 Soldaten aus 30 Ländern eigentlich angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren. Währenddessen sollten die angeblich kläglichen Reste von Taliban und al-Qaida von den hochgerüsteten US-Truppen in wenigen Monaten weggefegt sein.
Das Resümee sieht leider anders aus: Die Produktion von Opium hat sich seit 2001 verzehnfacht. Im vergangenen Jahr belief sie sich auf 6100 Tonnen. Der Großteil des Ertrags fließt den Taliban zu. Die Korruption - unter dem Taliban-Regime verpönt - ist mittlerweile Weltspitze. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen: von 1632 auf 5338. Insgesamt 4000 Tote waren zu beklagen, zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor. Wie schon in den neunziger Jahren sind die Taliban auf bestem Weg, sich als kleineres Übel darzustellen. Dies alles ist ein Horror. Aber kann der beendet werden, indem nun deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen der Streitmacht den Weg weisen?
Tornados sind gegen Truppenkonzentrationen der Aufständischen wirksam. Sie mögen kurzfristig auch etwas mehr Sicherheit für die Truppen bringen, die zunehmend damit beschäftigt sind, sich in ihren Stützpunkten selbst zu verteidigen. Aber an der drohenden Irakisierung des Landes, an Straßenbomben und Selbstmordanschlägen, werden sie nichts ändern. Im Gegenteil, mehrere Kommandeure der Taliban drohen mit einer totalen Irakisierung - nicht trotz, sondern wegen der Tornados. Sie werden sich auf funkgesteuerte Kleinstbomben am Straßenrand sowie auf Selbstmordattentäter verlegen; denn dagegen sind Tornados hilflos. Ohnehin hat sich die Anzahl der Selbstmordattentate seit dem Jahr 2004 verzehnfacht.
Der Einsatz in Afghanistan läuft grundsätzlich schief. Seit 2002 wurden dort 85 Milliarden Dollar für Militäroperationen, aber nur 7,5 Milliarden Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Und dabei hat man sich auch noch auf die Hauptstadt Kabul konzentriert, die Paschtunen-Gebiete aber vernachlässigt. Ausländische Spezialisten verdienen in Kabul oft 20 000 Dollar im Monat, afghanische Lehrer oder Ärzte in den Dörfern hingegen weniger als 100 Dollar. Mit der Folge, dass viele von ihnen sich deshalb lieber als Bürokraft oder Kraftfahrer für die Isaf-Truppe oder Entwicklungshelfer in Kabul verdingen. So aber fehlen sie zum Aufbau auf dem Land. Ein Isaf-Unteroffizier verdient das 30-fache eines afghanischen Offiziers, der, schlecht ausgebildet und mangelhaft geschützt, auf der Ladefläche eines Pick-Ups, Staub fressend und der Hitze ausgesetzt, einen gepanzerten US-Konvoi schützen soll. Es sterben zehnmal mehr afghanische als ausländische Soldaten. Die anfängliche Hochachtung, die afghanische Soldaten den US-Truppen entgegenbrachten, ist verschwunden. Die 2002 noch als Befreier gefeierten US-Truppen gelten zunehmend als Besatzer; sie werden verachtet, weil sie ihren Krieg nicht Mann gegen Mann führen, sondern mit High-Tech aus der Luft zuschlagen. Und ihnen wird misstraut, weil sie den Afghanen nicht vertrauen und sie wie Knechte behandeln.
Erfolg oder Misserfolg in Afghanistan wird in den Bergen und Dörfern des Ost-ens und Südens entschieden, und nicht in Kabul. Die Regierung Karsai hat im westlichen Ausland eine wesentlich höhere Reputation als bei den Paschtunen-Bauern. Sie gilt als schwach, korrupt, und weit entrückt von den Alltagssorgen. Ein Zerfall des Landes ist nur mit einer radikalen Umkehr der bisherigen Politik zu verhindern. Überlegenheitsgehabe und westlicher Lebensstil sind kontraproduktiv. Man muss mit den Paschtunen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Nötig sind der Aufbau, die gute Ausbildung und Ausrüstung einer selbstbewussten afghanischen Armee, sowie von Polizei und Gerichtsbarkeit. Die dort Beschäftigten müssen gut bezahlt werden und eine Berufsperspektive erhalten, um Korruption und Kollaboration mit Taliban, Warlords und Drogen-Mafia zu verhindern. Drastische Strafen insbesondere gegen Angehörige hoher Dienstgrade sind unabdingbar.
Tom Koenigs, der UN-Sonderbeauftragte, sagt: "Wir brauchen noch mehr Geld und noch mehr ausländische Soldaten, um mit mehr Sicherheit den Aufbau zu ermöglichen." Nichts könnte falscher sein. Wer in Afghanistan Sicherheit herstellen will, der muss sich um den zivilen Aufbau des Landes kümmern. Ausländisches Militär ist vorwiegend zur Ausbildung einheimischer Soldaten und Zivilpersonen zu nutzen. Hierzu sind europäische Soldaten geeigneter und akzeptierter als die US-Truppen. Ein begrenzter Anbau von Schlafmohn ist zu gestatten und zu kontrollieren. Das Rohopium kann zur Herstellung von Morphinen genutzt werden. In den Hauptanbau-Gebieten könnte man dazu eine pharmazeutische Klein-Industrie aufbauen. So würde legale Arbeit geschaffen. Den Bauern wäre der Weltmarktpreis für Rohopium zu bezahlen. Dieser liegt dreimal höher als die Erlöse, die sie von der Drogen-Mafia erhalten.
Darüber hinaus müssten Alternativen zu den radikalen Koranschulen in Pakistan geschaffen werden. Dort wird Tausenden Paschtunen-Buben das geistige Rüstzeug vermittelt, damit sie anschließend als Taliban-Kämpfer im Nachbarland die "gottlosen Ausländer" vertreiben. Auf die Regierung in Pakistan müsste Druck ausgeübt werden, neben jeder Koranschule eine staatliche Schule zu errichten, an denen Kinder - wie an den Koranschulen - kostenlos modernen Unterricht und Essen erhalten. In den Grenzgebieten West-Pakistans, dem Armenhaus des Landes, fehlen Tausende solche normalen Schulen. Wenn Pakistan nur zehn Prozent seiner horrenden Militärausgaben in Bildung investieren würde, wäre dies in wenigen Jahren zu schaffen. Ebenso müssten den Kindern auf der anderen Seite der Grenze, in Ost- und Süd-Afghanistan, eine Perspektive geboten werden. Der Aufbau guter Schulen, an denen sowohl moderner Lehrstoff wie auch afghanische Kultur vermittelt wird, muss forciert werden. Die paschtunischen Taliban sind nur zu besiegen, wenn wir das Vertrauen der paschtunischen Bevölkerung in Afghanistan und Pakistan gewinnen. Vor 18 Jahren zog zuletzt eine Armee (die sowjetische) geschlagen aus dem Land ab. Aber nicht mangels Truppenstärke - und schon gar nicht mangels Luftaufklärung! Reinhard Erös, Oberstarzt a. D., ist Gründer der "Kinderhilfe Afghanistan". Er betreibt mehr als zwei Dutzend Mädchenschulen, Waisenhäuser und Gesundheitsstationen im Osten des Landes.
|