Warum Benzin billig ist wie nie
Von Rudolph Chimelli
Es gibt Rechnungen, die sind so einfach, dass für sie die Rückseite
eines alten Briefumschlags ausreicht. Dennoch werden manche Kalkulationen
verblüffend selten gemacht, obwohl sie jeden angehen. Zum Beispiel die
folgende: Als am 1. Januar 2002 der Euro eingeführt wurde, kostete ein
Fass Erdöl zu 159 Liter auf dem Weltmarkt 72 Dollar. Da der Dollar damals
1,20 Euro wert war, betrug der Preis für dieses Fass umgerechnet 86,40
Euro.
Am Dienstag wurde ein Fass Rohöl, immer noch 159 Liter, mit 137 Dollar
gehandelt. Zum Tageskurs der inzwischen auf 1,56 Dollar gestiegenen
Euro-Währung machte dies genau 87,18 Euro aus, also kaum mehr als vor
sechseinhalb Jahren. Der Benzinpreis an der Tankstelle aber, der beim Start
der Einheitswährung noch um einem Euro dümpelte, ist seither auf
1,55 Euro gestiegen - wohlgemerkt immer unter Berufung auf steigende
Rohstoffpreise. Diese mögen zwar für die Dollar-Nation Amerika
eine Katastrophe sein, hätten hingegen die fröhliche Fahrt freier
Euro-Bürger bisher nicht bremsen müssen.
Irgendjemand wird hier verkohlt, und Adam Riese könnte Ihnen sagen wer:
Sie nämlich. Natürlich, alles wird ständig teurer, auch der
Transport des Rohöls oder seine Verarbeitung in den Raffinerien. Noch
dazu hat sich die Ökosteuer um ein paar Cent erhöht, und automatisch
geht mit jeder Anhebung des Benzinpreises auch die Mehrwertsteuer ein bisschen
hinauf. Unser Euro ist eben rundum ein Teuro. Aber all das macht längst
keine 50 Prozent aus.
Wer zahlt? Der Verbraucher!
Aus der Differenz schöpfen Erdölgesellschaften Rekordgewinne, der
Fiskus kassiert, Spekulanten wissen, wie man an der virtuellen Warenbörse
im Internet per Mausklick binnen Stunden Millionen verdienen kann, ohne je
ein Tanklager aufzufüllen. Schon der große Gulbenkian, Mr. Five
Percent, hatte, seit er 20 war, nie mehr ein Ölfass gesehen. Nur einer
zahlt immer im großen Gewinnspiel, der Verbraucher.
Für ihn ist es bloß ein schwacher Trost, dass Benzin gemessen
an der Kaufkraft nie so billig war wie heute. Als während der
fünfziger Jahre in der Bundesrepublik die Motorisierung einsetzte, kostete
der Liter 55 Pfennig oder sagenhafte 28 Euro-Cent. Leider hätte sich
der deutsche Durchschnittsverdiener zu jener Zeit mit seinem Monatsgehalt
von 270 Mark nur 500 Liter Benzin leisten können und sonst nichts mehr
im Leben. Da war er im letzten Jahr mit seinen statistisch 3317 Euro pro
Monat an der Tankstelle erheblich besser bedient. Doch schließlich,
und das darf in diesem Panorama nicht vergessen werden, stehen auch die
Erdölländer vor einem unlösbaren Dilemma. Der Preis soll steigen,
steigen, steigen. Aber doch nicht so weit, dass sich die Industriegesellschaften
das Petroleum immer mehr abgewöhnen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.146, Mittwoch, den 25. Juni 2008