Spekulieren mit dem Brot für die Welt
Weltweit sichern sich Investoren wertvolles Ackerland - während etwa
die Sudanesen hungern, wittert ihre Regierung ein gutes Geschäft
Von Marc Widmann
München - Die Menschen im Sudan gehören nicht nur zu den ärmsten
der Welt, sondern auch zu den hungrigsten. Bürgerkrieg und Missernten
haben die Nahrung rar werden lassen, die Vereinten Nationen schicken massenhaft
Lebensmittel in das afrikanische Land. Nur so können die Menschen
überleben. Doch während viele Sudanesen hungern, verkauft und
verpachtet ihre Regierung den fruchtbaren Boden offenbar in großem
Stil an ausländische Großinvestoren.
Ägypten hat nach Berichten bereits Land am sudanesischen Nil erhalten,
um dort jährlich zwei Millionen Tonnen Weizen vor allem für die
eigene Bevölkerung anzubauen. Die Ölförderstaaten Jordanien,
Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate verkündeten den Abschluss
von Verträgen, die ihnen Zugang zu Ackerland und die Produktion von
Lebensmitteln zusichern - natürlich für das eigene Volk. Am Persischen
Golf wird man künftig wohl Fladenbrot aus sudanesischem Getreide essen
können.
Die bizarrste Meldung ist gerade mal drei Wochen alt. Der US-Investor Philippe
Heilberg ließ die Welt wissen, er habe im unruhigen und kaum entwickelten
Süden des Sudan 400 000 Hektar besten Boden von Warlords erstanden,
mit Genehmigung der Regierung. Es gebe dort ein "prächtiges Potential"
für den Anbau von Pflanzen für Nahrungsmittel oder auch für
Agrarsprit.
Glaubt man den gesammelten Daten von Entwicklungshelfern, so ist der Sudan
nur der verrückteste Schauplatz einer weltweiten Entwicklung: des Ansturms
finanzkräftiger Investoren auf Ackerland. In den vergangenen zwei Jahren
stiegen die Lebensmittelpreise zwischendurch rapide an - und ließen
den billigen Boden in armen Ländern als verlockende, renditeträchtige
Ressource erscheinen. Mittlerweile sind die Preise zwar gesunken, sie liegen
aber immer noch deutlich über denen vor der Krise. Auch deutsche Firmen
mischen mit und erstehen große Ländereien in Osteuropa.
Auf elf Seiten listet die internationale Organisation Grain penibel auf,
wo die Landsammler bereits tätig geworden sind oder derzeit über
Pacht und Kauf verhandeln. Im Visier sind demnach alle Kontinente. China
lässt sich mitsamt Hunderten Arbeitern in Uganda und im Krisenstaat
Simbabwe nieder. Eine japanische Firma ersteht 100 000 Hektar in Brasilien.
Libyen erkauft sich Zugang zu 247 000 Hektar in der Ukraine. Die saudische
Bin-Laden-Gruppe will in Indonesien auf 500 000 Hektar Fläche Reis für
die Heimat produzieren.
Besonders spektakulär: Die südkoreanische Daewoo Logistics Cooperation
verkündete kürzlich etwas voreilig, sie habe die Hälfte der
Ackerfläche der bitterarmen Insel Madagaskar für 99 Jahre von der
Regierung gepachtet. Wegen des heftigen Widerstands der Bevölkerung
liegt der 1,3-Millionen-Hektar-Deal jedoch auf Eis, ebenso wie Geschäfte
von Interessenten in Uganda oder Pakistan. Trotz aller Proteste haben bereits
Millionen Hektar den Besitzer gewechselt.
Die Grain-Aktivisten unterscheiden zwei Gruppen von Investoren: Länder,
die seit der Nahrungsmittelkrise um ihre eigene Ernährungssicherheit
fürchten - allen voran arabische Staaten mit großen Ölfeldern,
aber wenig ergiebigen Ackerflächen. Dort habe der Preisanstieg regelrecht
Panik ausgelöst, berichtet ein internationaler Experte. Hinzu kommen
Finanzinvestoren wie Morgan Stanley oder BlackRock, für die "Ackerland
zum schicken neuen Spielzeug wird".
Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam sagt: "Die Nahrungsmittelkrise
war ein Weckruf." Landkauf gab es auch schon früher, "aber die Dynamik
und Intensität sind neu." Die Gefahr sei groß, dass die neuen
Besitzer kleine Bauern von ihrem Grund vertrieben und der Hunger am Ort wachse.
"Die Investoren picken sich die fruchtbarsten Böden heraus", sagt
Wiggerthale, "für die einheimische Bevölkerung bleiben nur die
schlechteren übrig." Den Menschen dort würden "die Lebensgrundlagen
entzogen". Auch Umweltschützer sehen den Aufmarsch der Investoren extrem
skeptisch. "Es wird nur noch nach rationalisierten, ökonomischen Bedingungen
gewirtschaftet", sagt Martin Hofstetter von Greenpeace, "alles, was sich
lohnt, wird gemacht." Auf die Natur werde wenig Rücksicht genommen,
so entstünden "ausgeräumte Landschaften".
Bei der Welternährungsorganisation FAO befasst sich eine Task Force
mit dem neuen Problem; sie versucht, verlässliche Daten über die
oft vertraulichen Deals zu sammeln. Mit Sorge beobachtet David Hallem,
Abteilungsleiter für Handelspolitik, wie etwa der äthiopische
Landwirtschaftsminister Investoren offen zum Landkauf lockt, ohne dafür
Bedingungen zu stellen. Und wie auf der anderen Seite arabische
Unterhändler "nur wenig Gespür dafür zeigen, dass der Erwerb
von Ackerland nicht irgendein gewöhnliches Investment ist", sondern
ein hochsensibles. Vor "neo-kolonialen Zuständen" warnte unlängst
der Generaldirektor der FAO, Jacques Diouf: Die ungleichen Verträge
mit armen Ländern gäben "Anlass zu beachtlicher Sorge und
bedürfen rascher Korrekturen".
In diesen Tagen machen sich auch deutsche Landkäufer auf die Reise in
den Westen Rumäniens. Dort will die seit November an der Börse
notierte Investmentfirma Agrarius in großem Umfang Ackerboden aufkaufen
und an Bauern verpachten, die ihren Betrieb vergrößern wollen.
Das Geld stammt von Privatleuten. Sie versprechen sich eine beachtliche Rendite
- schließlich kostet der Hektar Acker in Rumänien nur etwa ein
Zehntel des deutschen Preises. "Wir kaufen die besten Flächen, die
unterbewertet sind und ein hohes Wertsteigerungspotential haben", sagt
Vorstandsmitglied Wolfgang Brandt, ein gelernter Bankkaufmann. Wie viel Land
er erwerben will? "Wir sind nach oben offen."
"Sehr kritisch" sieht Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband den Einstieg
von Großinvestoren in Äcker. "Wir wollen keine Ballung von
Landeigentum in einer Region", sagt er. Die Bauern würden sonst zu
abhängig. In Deutschland ist der Bodenerwerb für Investoren erheblich
erschwert. Will ein Nicht-Landwirt einen Acker kaufen, haben aktive Bauern
aus der Umgebung automatisch ein Vorkaufsrecht zum selben Preis.
Nicht so in Rumänien. Wo Agrarius einkauft, sind rechtliche Hürden
niedrig. Auch im Baltikum, in Bulgarien oder Tschechien - überall dort
will die Gesellschaft noch investieren. Brandt sieht seine Firma vor goldenen
Zeiten. Die Weltbevölkerung wächst, und mit ihr der Hunger. Guter
Boden kann bald knapp und richtig teuer sein. Der frühere
Börsenhändler klingt zufrieden, sein erstes Ziel hat er erreicht:
"Die Asset-Klasse Agrarland kapitalmarktfähig zu machen".
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.34, Mittwoch, den 11. Februar 2009