Tod im Maisfeld
Nach massenhaftem Bienensterben nimmt Bundesbehörde ein Insektengift vom Markt
Wieder
sterben Bienen. Die Imker in Baden-Württemberg haben schätzungsweise
7000 Völker in den vergangenen Wochen verloren, die normalen Verluste
über den Winter nicht eingerechnet. Das Zentrum des Massensterbens
liegt in der Rheinebene, einer Region, in der besonders viel Mais
angebaut wird. Aber auch Gebiete in Bayern sind betroffen. Als Ursache
haben Forscher des Julius-Kühn-Instituts in Braunschweig und des
Bundesamts für Verbraucherschutz (BVL) in Berlin das Insektengift
Clothianidin ausgemacht. Am Freitag gab die Berliner Behörde bekannt,
sie habe das sofortige Ruhen der Zulassungen von insgesamt acht
Saatgut-Behandlungsmitteln, die diesen Wirkstoff enthalten, angeordnet.
Für
Ekkehard Hülsmann ist damit ein "Etappensieg" erreicht. Doch das
Sterben werde weiter gehen, sagt der Vorsitzende des Landesverbands der
Badischen Imker. "Das Gift ist jetzt in der Umwelt." Nun wird der
Schuldige gesucht. Und die Imker hoffen auf Entschädigung. "Wir bewegen
uns in einem juristisch prekären Bereich", sagte Stefanie Hahn,
Sprecherin des Julius-Kühn-Instituts (JKI) vor Abschluss der
Untersuchungen. Es gehe schließlich darum, wer wem den entstandenen
Schaden zu ersetzen habe.
Der
jetzt in die Kritik geratene Wirkstoff Clothianidin ist in
verschiedenen Pflanzenschutzmitteln enthalten, und erst seit dem Jahr
2004 in Deutschland zugelassen. Die bislang erlaubten,
clothianidinhaltigen Präparate sind in erster Linie dazu gedacht,
Saatgut zu beizen, um es selbst und später die ganze Pflanze vor
Fraßinsekten zu schützen, zum Beispiel vor dem gefürchteten
Maiswurzelbohrer, der im vergangenen Jahr erstmals in Deutschland
gesichtet wurde.
Eines
der Mittel, "Poncho", hergestellt von Bayer Cropscience, ist seit 2004
vom BVL für die Behandlung von Maissaatgut in zwei Dosierungen
zugelassen. Höchstens 62 Gramm Wirkstoff dürfen demnach auf jeweils 50
000 Saatgutkörner verteilt werden. Auf diese Weise imprägnierter Mais
ist leicht an seiner violetten Farbe zu erkennen. Im
Zulassungsverfahren sei besonders auf eine mögliche Bienengiftigkeit
geachtet worden, betont das BVL. Da Clothianidin für Honigbienen sehr
giftig ist, seien "eine Reihe von praxisnahen Versuchen zur Wirkung der
Saatgutbehandlung auf Bienen durchgeführt worden", heißt es in einer
Stellungnahme des BVL. In diesen Tests seien keine "negativen
Auswirkungen festgestellt" worden. Weil es als Beizmittel eingesetzt
und nicht großflächig versprüht wird, galt das Insektengift als
unschädlich für Bienen. Bis Ende April waren dem BVL auch keine
Bienenschäden dieser Art aus Deutschland bekannt. Dann begann das
Sterben in der Rheinebene und in den meisten Bienenleichen fand sich
das Pflanzenschutzmittel.
Bauern in violetter Wolke
Am
Freitagnachmittag diskutierten im Julius-Kühn-Institut und in der
Berliner Verbraucherschutzbehörde Experten darüber, wie das Gift in die
Luft gelangen konnte, obschon es eigentlich mit dem Saatgut vergraben
werden sollte. Zurzeit stehen die Sämaschinen im Verdacht, eine
Clothianidin-Wolke verursacht zu haben. Je nach Konstruktionsprinzip
könne es zu einer "erheblichen Staubabdrift" kommen, schreibt das
Bundesamt. In dem Saatgutbehälter der Maschinen reiben demnach die
gebeizten Maiskörner aneinander und schmirgeln das Gift herunter, dass
schließlich mit der Abluft der Sämaschine in die Umwelt gelangt, vom
Wind verblasen wird und dann auf Blättern und Blüten in der Umgebung
niederfällt.
Nach
dieser Erkenntnis empfahl das BVL noch Mitte der Woche den Imkern als
Sofortmaßnahme, ihre Bienenstöcke aus der Nähe von Maisfeldern zu
entfernen, wenn klar ist, dass dort clothianidinbehandelter Mais
ausgesät wurde oder noch wird. Gleichzeitig sollten die Landwirte
vorzugsweise Geräte einsetzen, deren Abluft in den Boden abgeführt
wird. Bei anderen Maschinen sollte "ein Abluftschlauch so angebracht
werden, dass der Luftstrom bodennah austritt".
Früher
als das BVL hatte Bayer Cropscience bereits am Freitag der vergangenen
Woche eben diese Empfehlung als "dringend" für die "noch verbleibende
Maisaussaat" in einem Fax an die Landwirte verschickt. So solle
verhindert werden, dass Abrieb des Beizmittels auf Nachbarpflanzen
gelange. Das war genau eine Woche bevor das Bundesamt "aus
Vorsorgegründen bis auf weiteres" am gestrigen Freitag die
Saatgutschutzmittel gestoppt hat. Chemiekonzerne dürfen das Mittel ab
sofort nicht mehr verkaufen, und Saatgutunternehmen dürfen keine
Maissamen mehr damit behandeln, gab das BVL bekannt. Lediglich die
behandelten Maissamen, die sich bereits bei den Bauern befinden,
dürften noch gesät werden.
Imker
Hülsmann berichtet von Landwirten, die in eine violette Wolke gehüllt,
den Mais aufs Feld gebracht hatten. "Da ist niemand gewarnt worden."
Für Menschen und die meisten Tiere ist der Wirkstoff, soweit bekannt,
ungiftig. Doch Bienen reagieren besonders empfindlich auf den Stoff.
"Kurz vor Pfingsten ging die Maissaat los", berichtet Hülsmann. Und
damit begann das Bienensterben. "Da konnten Sie die Uhr nach stellen."
Zusammen
mit den Landwirten hat er die Theorie entwickelt, dass die Staubwolken
mit der hohen Dosierung des "Poncho"-Präparats zusammen hängen könnten.
Es sei in diesem Jahr erstmals auf die Felder gebracht worden. Beim
Einsatz geringerer Mengen wurden in der Vergangenheit Gift-Wolken über
dem Trecker und keine sterbenden Bienen beobachtet. Die Begründung des
Clothianidin-Verbots bestätigt diese Vermutung. Darin heißt es, dass
die Prüfung ergeben hätte, dass "bei der Ausbringung von mit
Insektiziden behandeltem Saatgut mit pneumatischen Sämaschinen eine
höhere Exposition von Bienen verursacht wird, als im
Zulassungsverfahren bislang bekannt".
Ob
die Begutachtung für hochdosierte Produkte zu oberflächlich ausfiel
oder der Herstellungsprozess inzwischen verändert wurde und das
Beizmittel bei der aktuellen Lieferung weniger fest auf den Körnern
haftete, muss noch untersucht werden. Erst danach entscheidet sich, wer
für den Schaden der Imker aufkommen wird. HANNO CHARISIUS
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.114,
Samstag, den 17. Mai 2008
, Seite 22