Rohstoff Mensch
Was mit dem eigenen Körper alles passieren kann, wenn man einfach nur
"Ja" im Organspendeausweis ankreuzt
Diesmal hat Ulla Schmidt einen starken Partner. Wenn die Gesundheitsministerin
für Organspenden wirbt, tut sie das in diesen Tagen mit der Breitenwirkung
der Apotheken-Umschau, Deutschlands Zeitschrift mit der größten
Leserschaft. Das Blatt startete vor kurzem eine gut gemeinte Kampagne, um
die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende zu steigern. "Organspende
schenkt Leben" war, wie seit Jahren bei solchen Aktionen, das eingängige
Motto.
Die Kampagne überzeugt zu Recht viele Menschen vom Sinn der Organspende.
Doch wer auf dem beiliegenden Organspendeausweis nun einfach nur "Ja" ankreuzt,
der erklärt sich zu mehr bereit als allein zur Spende seiner inneren
Organe wie Leber, Lunge, Herz und Nieren. Mit seinem Ja gibt der Spender
sämtliches Gewebe seines Körpers zur Entnahme frei - Knochen genauso
wie Haut, Sehnen, Knorpel und Gefäße. Vorne heißt es
"Organspendeausweis", doch auf der Rückseite werden Organe und Gewebe
stets gemeinsam genannt.
Gewiss, jeder Spendewillige kann auf dem Kärtchen einzelne Körperteile
ausschließen und so deren posthume Verwendung einschränken; doch
kaum ein Bundesbürger weiß so viel über die
Verwertungsmöglichkeiten menschlicher Leichen, dass er die
Einschränkungen bewusst vornehmen kann. Auch die Apotheken-Umschau verliert
in ihrer Kampagne kein Wort über die Unterschiede von Organ- und
Gewebespende.
Dabei ist die Verwertung von Körpergewebe inzwischen so mannigfaltig,
dass der Leipziger Zelltherapie-Professor Frank Emmrich, Mitglied des Deutschen
Ethikrates, der Ansicht ist, eine fundierte Entscheidung könne nur der
künftige Spender selbst treffen. "Die Materie ist viel zu komplex, als
dass sie nach dem Tod eines Menschen einfach in einem Gespräch mit dessen
Angehörigen geklärt werden könnte", sagte Emmrich vor kurzem
während einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für
Gewebetransplantation (DGFG) in Berlin.
Zusammen mit der Organspende wird die Gewebespende einfach unter dem großen
Versprechen, Leben zu retten, subsummiert. Gewebe rettet aber nur im Ausnahmefall
Menschenleben. Häufig verbessert es die Lebensqualität. "Daneben
gibt es jedoch durchaus auch Anwendungen, die Gewebebanken, Hersteller und
Vertreiber lieber verschweigen", schreibt die Autorin Martina Keller in ihrem
informativen Buch "Ausgeschlachtet - Die menschliche Leiche als Rohstoff"
(Econ, Berlin 2008). So benutzen zum Beispiel Schönheitschirurgen Produkte
aus menschlichen Leichen - etwa um den Nasensattel aufzupolstern, Falten
zu unterfüttern oder Lippen aufzupumpen.
uch wenn Politiker und Mediziner in der Öffentlichkeit einen anderen
Eindruck erwecken: Längst übertrifft die Verwertung von Gewebe
die Organspende. "Nur rund 4500 Menschen bekommen in Deutschland jährlich
Organe verpflanzt", schreibt Martina Keller. "Hingegen wird mehreren Zehntausend
Gewebe transplantiert." Und eine findige Medizin-Industrie generiert immer
neue Anwendungsmöglichkeiten für die menschliche Leiche. Inzwischen
lässt sich fast jeder Teil eines Toten verwerten - das
Gehörknöchelchen ebenso wie die Brustaorta, die Muskelhaut des
Oberschenkels, die Kniescheibe, Stücke vom Beckenkamm, Achillesferse
und Meniskus. Der Spender lebt also nicht wie bei der Organspende in einem
oder wenigen Empfängern weiter, sondern im Extremfall in 60 oder mehr
Personen.
Diese moderne Art der Reinkarnation hat wohl nicht jeder Spender im Blick,
wenn er seinen Körper der Medizin zur Verfügung stellt. Für
viele Menschen ist es aber ein Unterschied, ob Ärzte die inneren Organe
entnehmen, - oder ob sie darüber hinaus Haut vom Leichnam schälen,
die Gehörknöchelchen aus den Ohren gewinnen oder die Schienbeine
durch Besenstiele ersetzen (wenn auch unter Einhaltung der in Seziersälen
üblichen Pietät).
Noch ein Unterschied ist von Belang: Anders als gespendete Organe sind Gewebe
auch kommerziell interessant. "Gewebe werden nicht frisch verpflanzt, sondern
weiterverarbeitet", schreibt Martina Keller. "Die fertigen Produkte gelten
als Arzneimittel - mit einem Teil davon darf gehandelt werden wie mit den
Pillen der Pharmaindustrie."
Jedes Gewebe hat dabei seinen Preis. In den USA, wo sich bereits ein regelrechter
Markt etabliert hat, lässt sich mit einer zerlegten Leiche ein Erlös
von 250 000 Dollar erzielen, so Keller. In Deutschland ist die Gewebespende
zwar noch überwiegend gemeinnützig organisiert; allerdings gibt
es auch dort einige kommerzielle Anbieter, und selbst die gemeinnützigen
konkurrieren untereinander um Leichen und Abnehmer. Gleich drei
gemeinnützige Organisationen streiten derzeit um die Hoheit über
die Gewebespende in Deutschland - eine davon die bereits erwähnte DGFG,
bei deren Gründung es unter Transplanteuren zu scharfen Protesten
kam.
Ohnehin sagt das Adjektiv "gemeinnützig" wenig über Ehrhaftigkeit
und Gewinnstreben aus. "Das Label Gemeinnützigkeit allein bürgt
für wenig", sagte Ralf Heyder vom Verband der Universitätsklinika
Deutschlands während der Tagung der DGFG. Den Gewinnen ist dann zwar
eine Grenze gesetzt, aber dennoch werden die Preise (im Branchenjargon
Aufwandsentschädigungen genannt) von den Organisationen selbst kalkuliert,
ebenso wie die Gehälter der beteiligten Manager.
Die Hornhautbank München zum Beispiel gibt Hornhäute, die sie aus
den USA für maximal 1200 Euro inklusive Transportkosten importiert,
für 1500 Euro weiter, wie Martina Keller recherchiert hat. Der Unterschied
entspreche den tatsächlich entstehenden Kosten, so die
Geschäftsführerin der Bank.
Die Würde von Leichen
Vor diesem Hintergrund forderte die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Ingrid
Schneider einen offeneren Umgang mit den Aktivitäten rund ums menschliche
Gewebe. Es müsse dafür gesorgt werden, "dass die Verwertungskette
entkommerzialisiert wird", so Schneider. Sie forderte zudem zur
"Gewebesparsamkeit" auf. "Mit Rücksicht auf die Würde von Leichen
sollten Gewebe nur verwendet werden, wenn es nichts anderes gibt oder wenn
sie den Alternativen deutlich überlegen sind." Die Medizin müsse
sich in ihrem immer größer werdenden Gewebebedarf selbst
beschränken.
Manches hat sich bei der Verwertung menschlicher Leichen aber auch zum Guten
verändert. Noch vor wenigen Jahren bedienten sich Ärzte nach Belieben
- auch wenn sich der Spender lediglich zur Organspende bereiterklärt
hatte. Dabei gab schon das Transplantationsgesetz von 1997 eine spezielle
Einwilligung für Gewebespenden vor; diese Erfordernis macht das neue
Gewebegesetz nun noch einmal zweifelsfrei klar.
Die Botschaft ist allerdings nicht überall angekommen. Allen Ernstes
ließ sich der eigens für das Ethik-Referat geladene Soziologe
Wolfgang van den Daele in Berlin zu der Bemerkung hinreißen, Ärzte
dürften einem Organspender ruhigen Gewissens auch allein wegen der
Herzklappen sein Herz entnehmen. "Die Klappe wird ja zu demselben Zweck verwendet
wie das Herz", sagte er; dabei vergaß er zu erwähnen, dass auch
künstliche Klappen und solche von Tieren ihren Zweck erfüllen,
während ein gespendetes Herz nicht zu ersetzen ist: "Wenn jemand die
Klappen entnimmt", so das frühere Mitglied des Nationalen Ethikrates,
"denke ich, dass niemand was dagegen hat." CHRISTINA BERNDT
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.263, Mittwoch, den 12. November 2008