Der Reis wird knapp
Asiens Regierungen fürchten Unruhen wegen Getreidemangels
Noch servieren die Schnellimbissketten auf den Philippinen zu jedem Mahl
gratis die landesübliche Beilage, doch hat die Regierung von
Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo sie jüngst angewiesen, die
Reisportionen zu halbieren. Der südostasiatische Inselstaat mit mehr
als 90 Millionen Einwohnern ist größter Importeur des
Grundnahrungsmittels, mit dem die halbe Menschheit den Hunger stillt. Deshalb
trifft es das Land besonders hart, dass Reis auf dem Weltmarkt knapp wird
und zuletzt Rekordpreise erreicht hat. Schon schreiben die Zeitungen in Manila
von einer "Reis-Krise", aber auch in vielen anderen Hauptstädten von
Entwicklungs- und Schwellenländern herrscht Sorge.
"Jede asiatische Regierung ist sich des engen Zusammmenhangs zwischen politischer
Stabilität und der Stabilität der Reispreise bewusst", sagt etwa
Jonathan Pincus, Chefvolkswirt des UN-Entwicklungsprogramms in Vietnam. Robert
Zeigler, Leiter des angesehenen Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI,
warnt vor "sozialen Unruhen", sollten die Preise weiter steigen. Die wachsende
Mittelschicht in Asien, durch den Wirtschaftsboom zu ein bisschen Wohlstand
gekommen, müsste auf liebgewonnene Gewohnheiten verzichten. Härter
noch aber träfe es die Tagelöhner und Wanderarbeiter, die vor der
Armut auf dem Land zu Millionen in die Mega-Städte des Kontinents geflohen
sind. Sie müssen ohnehin schon den Großteil ihres Einkommens für
die tägliche Schüssel Reis ausgeben. Unzufriedene, womöglich
gar hungernde Massen aber sind eine Bedrohung für jede Regierung - wie
stabil das Land ansonsten auch sein mag.
Nicht allein Zeiglers Verweis auf die Tortilla-Krise in Mexiko, wo steigende
Mais-Preise zu Protesten geführt hatten, lässt solche Szenarien
plausibel erscheinen. Eine Kette von Entscheidungen der vergangenen Tage
zeigt, wie ernst Regierungen in Asien das Problem nehmen. Zwar werden weniger
als zehn Prozent der Welternte an Reis überhaupt gehandelt - das meiste
dient den Produzentenländern dazu, das eigene Volk satt zu bekommen.
Dennoch hat Vietnam, zweitgrößter Exporteur, seine Ausfuhr um
ein Fünftel gekappt. Indien, Nummer drei auf dem Weltmarkt, erhöhte
den Mindestpreis für Reislieferungen ins Ausland auf 1000 Dollar je
Tonne. Das kommt einem Exportverbot gleich, auch wenn sich der Weltmarktpreis
ohnehin seit Januar auf mehr als 750 Dollar verdoppelt hat. Auch Thailand,
größter Exporteur der Welt, erwägt laut Berichten vom Donnerstag,
die Ausfuhr zu drosseln.
Ziel ist, dass die Bauern ihren Reis im eigenen Land verkaufen - und die
Preise nicht noch weiter steigen. Schon müssen Bauern in Thailand
nächtens Felder und Saatgut vor Dieben schützen; in Bangkok kostet
Reis heute um die Hälfte mehr als noch zu Jahresbeginn. Vielerorts sind
auch Geschäftemacher am Werk. Nicht nur auf den Philippinen horten
Händler Vorräte, weil sie auf noch höhere Preise spekulieren.
Entschärfen aber wird sich die Reis-Krise kaum: Die
Welternährungsorganisation FAO prognostiziert zwar, die Produktion werde
2008 um 1,8 Prozent wachsen. Die Nachfrage aber steigt noch stärker
und wird erneut das Angebot übertreffen. Die Lager sind so leer wie
seit 30 Jahren nicht mehr. Damit erscheint aber nicht nur die politische
Zukunft von Präsidentin Arroyo fraglich, sondern auch, ob der Hunger
in Asien, wie lange angenommen, wirklich weitgehend überwunden ist.
Das, sagt Reisforscher Zeigler, sei "ganz klar nicht der Fall".
Paul-Anton Krüger
Quelle: Süddeutsche Zeitung
04. April 2008