PNP vom 14.11.2008
Zweiter Tsunami rollt auf die Finanzmärkte zu
US-Kreditkartenschulden von rund einer Billion Dollar als ÆWertpapiere“ in alle Welt verkauft
Von Roland Freund New York. Den ohnehin arg angeschlagenen Finanzmärkten droht eine neue Schockwelle: Die US-Bürger haben enorme Kreditkartenschulden angehäuft - und können sie immer häufiger nicht mehr abstottern. Aus Angst vor dem nächsten weltweiten Finanz-Tsunami hat die US-Regierung nun stützende Dämme angekündigt. In einem heiklen Balanceakt will sie dabei aber zugleich den Kauf auf Pump im Kampf gegen die anstehende Rezession sogar nochmals ankurbeln. Böse Erinnerungen werden wach: Die Kreditkartenschulden sind vielfach längst als Wertpapiere in alle Welt verkauft - ganz genau so wie die Ramsch-Hauskredite, die am Anfang der globalen Finanzkrise standen. Die Zahlen sind erschreckend. Ein Schuldenberg von schon fast einer Billion Dollar (800 Milliarden Euro) lastete zuletzt allein durch Kreditkarten und ähnliche Darlehen auf den US-Bürgern. Rechnerisch sind es pro Haushalt bis zu 10 000 Dollar. Ganz zu schweigen von Verbraucherkrediten etwa beim Autohändler oder im Kaufhaus, die sich gar auf weitere 1,6 Billionen Dollar summieren. Zu über 70 Prozent lebt die weltgrößte Volkswirtschaft vom privaten Konsum. Und der beruht zum Gutteil auf dem Prinzip ÆJetzt kaufen - später zahlen“. Schulden gehören zum US-Alltag wie Burger und Pommes. Beim noch amtierenden Finanzminister Henry Paulson schrillen daher die Alarmglocken, wenn nach dem Haus- nun auch der Verbraucherkreditmarkt zu kollabieren droht. Per Strategieschwenk sollen nun Milliarden aus dem US-Rettungspaket Hilfe bringen. ÆRettungspaket Teil II - nach den Banken nun die Verbraucher“, titelten die Zeitungen. Für rund 300 Millionen Amerikaner gibt es heute bereits eine Milliarde Kreditkarten. Mehr als die Hälfte der 21-jährigen College-Abgänger besitzt vier oder noch mehr davon. Seit die US-Bürger auf ihre Häuser wegen der Immobilienkrise keine neuen Schulden draufsatteln können, leben sie noch mehr auf Pump per Plastikkarte. Wie einst bei den fatalen Ramsch-Hypotheken locken in den USA Anbieter wie Visa, Mastercard, American Express und Discover mit recht niedrigen Einstiegszinsen. Noch schneller als ÆWer keine Angst hat, ist verrückt“ die Miesen steigen dann aber - zum Beispiel bei Zahlungsverzug - in einer teuflischen Spirale die Zinssätze, nicht selten auf über 30 Prozent. Eine Schuldenfalle. Im Schnitt begleichen Amerikaner pro Monat nicht einmal 20 Prozent ihrer Kartenabrechnung. Viele zahlen gar nichts mehr. Die Ausfallrate kletterte auf rund sechs Prozent. ÆWenn die Arbeitslosigkeit weiter steigt, könnten die Ausfälle historische Rekordwerte erreichen“, warnt Citigroup-Finanzchef Gary Crittenden. Und der Konzernchef von J. P. Morgan Chase, Jamie Dimon, meint mit Blick auf die Kreditmärkte: ÆWer keine Angst hat, ist verrückt.“ Die Verluste der US-Kartenanbieter durch Zahlungsausfälle könnten sich von den für 2008 erwarteten 41 Milliarden Dollar im nächsten Jahr mit 96 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln, prognostiziert das Beratungshaus Innovest. Der Kartenriese American Express erlitt bereits einen massiven Gewinneinbruch und streicht Tausende Stellen. Einen großen Teil des Risikos aber haben alle Anbieter und Banken auf die globalen Finanzmärkte abgewälzt. Dort schlummern die faulen Kredite nach Ansicht von Experten als tickende Zeitbomben. Wegen der Risiken will sie derzeit keiner mehr dem anderen abkaufen. So begann es auch bei den Hauskreditpapieren. 350 Milliarden Dollar entfallen nach Branchendaten auf verbriefte Kartenschulden, weitere Papiere für 250 Milliarden Dollar sichern Studenten-Kredite ab, 200 Milliarden Dollar sind es bei Autofinanzierungen. Nicht einmal Experten haben einen Überblick, wo die riskanten Papiere in aller Welt liegen. Selbst im konsumverliebten Amerika wird vielen inzwischen klar, dass es mit dem Leben auf Pump so nicht wirklich weitergehen kann. Auch wenn der Konsum die US-Wirtschaft ein weiteres Mal retten soll, startete das US-Finanzministerium eigens ein Internet-Spiel zum Thema Schulden: Im ÆBad Credit Hotel“ sollen die Bürger lernen, ihr Geld zusammenzuhalten (www.controlyourcredit.gov). Ob Finanzminister Paulson angesichts des Rekorddefizits des US-Staatshaushalts selbst schon ein Zimmer gebucht hat, ist nicht bekannt.
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