Opus 449/ 1995
Ich habe nie vermerkt, wo und wann genau meine Texte entstanden sind,
obwohl diese Informationen viel zum Verständnis beitragen könnten. Die
folgenden Verse sind in Marburg, nach einer anstrengenden Tagung über Stiftungen
und Erbschaftsrecht, einem mitternächtlichen Kneipenbesuch und einem einsamen
Spaziergang durch die alte Stadt, im Hotelbett niedergeschrieben worden.
Ich bin nicht mehr der Jüngste nun,
zähl vierundvierzig Jahre,
und täglich mehr vom Schädeldach
leuchtet durch meine Haare.
Die Schläfen glitzern silbern und
tot ist mancher Zahn.
Gewiß, ich bin kein Jüngling mehr,
doch auch noch kein alter Mann.
Nie war ich stärker, Kondition
schenkt mir mein starker Wille,
hab auch Verstand, wenngleich begrenzt,
und immer noch Gefühle.
Noch niemals hab ich Neid gekannt,
wollt nie ein andrer sein,
bin mit der Welt im Reinen,
kann fast alles verzeihn.
Ich fühl mich gut, obwohl die Welt
noch ist wie ehedem,
doch was soll ich kleines Menschlein tun
als leben mein Leben?
Habs akzeptiert, das Wohl und Weh,
kann immer öfter schweigen,
ich höre zu, betrachte still
den alltbekannten Reigen.