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Geiss Haejm

"Wie wird einer ein Barde?"

oder "wie der brave Waldlerbub Gott und die Welt zu hinterfragen begann..."/ Versuch einer Entwicklungschronologie

     

Als Kind hörte ich zu Hause nur Schlager- und Volksmusik, singen lernte ich in der Kirche und mit den Fahrtenlieder der Pfadfinder. Dann traf mich der Beat... (mehr)

Aber auch heute, mit dem Abstand von Jahrzehnten betrachtet und kritisch geworden gegenüber dem anglo-amerikanischem Kommerz, kann ich nicht aus meiner Haut und ich liebe noch immer Blues, Rock, Soul, Raggae und Jazz, es ist einfach meine Musik. Vor allem waren es die Stones, Bob Dylan, The Who, The Cream aber auch Hendrix, die Beatles und The Band, die zu wichtigen Bausteinen in meiner Entwicklung wurden. Aber auch "Soul-Music" fuhr mir in Seele und Knochen, auch wenn mir nicht alles gefiel, aber das versteht sich auch für alle anderen Richtungen.

Die Liebe zur klassischen Musik kam erst später, zu Mozart, Beethofen, Händel, Bach,Vivaldi und Boccerini, Ravel und Smetana. (meine Lieblingsmsik)

Literarisch prägten mich - als ich etwa mit fünfzehn Jahren die Welt zu hinterfragen begann - Kurt Tucholsky und Bert Brecht. Aber dass ich mit Walt Disneys Comics das Lesen gelernt und als Bub Enid Blytons Abenteuerbücher und alle Karl May-Bände verschlungen habe, wird wohl auch nicht ganz folgenlos geblieben sein... Mit Karl Marx habe ich mich dagegen schwer getan, alleine seine Gedanken zu "Entfremdung" haben das formuliert, was ich fühlte, aber nicht hatte ausdrücken können. Marxist war ich zu keiner Zeit, vermutlich, weil ich in meiner Berliner Zeit nur hochmütige linke Fazkes kennengelernt habe. Und Kommunist? Ein Träumer, der die Welt friedlicher, sozialer und freisinniger machen wollte, war ich gewiss, aber viel zu individualistisch und bodenständig, als dass ich mich je in ein dogmatisches Kollektiv hätte einordnen können. Und Sozialdemokrat? Nein, denn das waren diejenigen, ohne die es dieses verkommene Räubersystem schon lange nicht mehr gäbe. Im fortgeschrittenem Alter habe ich einmal spaßhalber gesagt, ich sei ein "wertkonservativer Anarchist, grün gesprenkelt mit einem schwarzen Rand..." und wenn ich eine Partei gründen würde, könnte es nur die "Anti-Partei-Partei" sein, was natürlich Widersprüche in sich sind, aber meiner Einstellung doch ziemlich nahe kommen. Seit ich am 26.4.1986 (zufällig auch der Tag der Tschernobyl-Katastrophe) als Barde das Kulturprogramm bei einem Grünen Kongress in Memmingen war, der sich mit Direkter Demokratie beschäftigte, bin ich ein Anhänger dieser Demokratieform und lehne seither unsere verlogene, gekaufte repräsentative Parteiendemokratie immer mehr ab. Soweit zu meiner politischen Überzeugung. Gewählt habe ich immer diejenigen, die vielleicht ein heilsames Gegengewicht darstellen konnten, ziemlich lange aber auch Sozis und Grüne, die halt als kleineres Übel erschienen. So kam es 2003 zu dem eigentlich völlig unmöglichen Votum für Gerhard Schröder, den Sozialabbauer und "Deutschland-1999-wieder-in-den-Krieg-Führer"..., alleine deshalb, weil er sich dem Massenmörder George Bush im Irak verweigerte...

Ziemlich intensiv habe ich mich mit psychoanalytischen Autoren beschäftigt, aber durch einen Dozenten zur Lern- und Verhaltenstheorie gefunden, der alte Skinner darf hier nicht übergangen werden. Philosophie interessierte mich lange nur so weit, wie ich von ihr einen lebenspraktischen Nutzen erhoffte. Zu Schopenhauer, Nietzsche und Epikur fand ich erst in meinen vierziger Jahren, als ich eigentlich schon alles getan und gesagt hatte, was mir wichtig war. Gleiches gilt für Autoren wie Goethe, Hesse, Mann und Dostojevski, von denen ich alles Erreichbare gelesen habe. Schon in jungen Jahren aber liebte ich Karl Valentin und Charlie Chaplin und schätzte die Gstanzl vom Roider Jackl und vom Baumsteftenlenz. Sehr angeregt und im Mut zur Mundart bestärkt haben mich auch Wiener Liederschreiber, wie Kreissler und der alte Nestroy. Und - ich will es fairerweise nicht unterschlagen - einige Zeit hat mich auch Wolf Biermanns Vortragsweise begeistert. Aber das muss man den Amis lassen, ihre politischen Provokateure haben technisch schon einiges drauf...

Als ich 1969 die ersten Lieder von Biermann hörte, war ich schon einige Jahre Liedermacher und kam musikalisch aus einer völlig anderen Ecke. Als ich 1966 anfing deutsche "Protestsongs" zu schreiben, kannte ich überhaupt niemanden, der in deutscher Sprache ähnliches machte, es gab nur amerikanische Vorbilder. Als heimatverbundener Mensch und Glasfachschüler, der kaum Englisch konnte, konnte ich nicht verstehen, dass sich in Deutschland die Musik sprachlich quasi kastrierte und es nur noch angloamerikanischen Singsang gab, denn sowieso das Volk nicht verstand, aber das war ja wohl die Absicht.

Ich war in diesen Jahren Bassist in einer Rockband und nie wäre es mir in den Sinn gekommen, meine Lieder in der Band anzubieten, denn deutsche Folk-und Rockmusik galt damals als absolut unmöglich. Erst als mich Studenten ermunterten meine Lieder öffentlich vorzutragen, getraute ich mich 1969 als "Protestsänger" (wie damals jeder, der sich sinnvolle Texte zu singen getraute, genannt wurde) beim Zwieseler Jugenmusikfestival vor großem Publikum auf die Bühne, wo mich die Lokalpresse den "grimmigen Helm" nannte. Im selben Jahr trat ich auch noch im Steve-Club, einer Berliner Kleinkunstbühne auf, dann bei der "Star-Chance 69" bei Dieter Thomas Heck in Frankfurt, und zum Jahresschlußgottesdienst des Gymnasiums holte mich ein fortschrittlicher Geistlicher aus meiner Glasbläserwerkstatt in die vollbesetzte Zwieseler Stadtpfarrkirche, wo ich vorne am Altar mein allererstes eigenes Lied vortragen durfte. (Text  mp3)     

1970 flüchtete ich vor dem Kriegsdienst nach Westberlin (ich war einerseits Pazifist, aber auch politischer Verweigerer, der gründlich seinen Tucholsky gelesen hatte) und lebte ein paar Jahre in Kreuzberg, blies als gelernter Glasapparatebläser Lämpchen für endoskopische Geräte und trat an den Wochenenden immer wieder mit meinen Liedern in Kleinkunstbühnen und Jugendzentren auf. Ich hatte das Glück ältere studentische Freunde zu haben, die mich - den Proletarier aus dem bayrisch-böhmischem Wald - anregten mich mit humanistischen und sozialen Themen aller Art zu befassen. Und so diskutierten wir nächtelang über Politik, Psychoanalyse und Philosophie, mit der Konsequenz, dass ich in der Fabrik kündigte und eine pädagogische und therapeutische Ausbildung begann, denn Singen war das eine, die Welt humaner zu machen, das andere. Ich beschloss also einer derjenigen "menschenfreundlichen Aufklärer" zu werden, die den mühevollen Weg durch die politisch verkommenen Institutionen gehen wollte. Ein alter Schulmann, dem ich mich anvertraute, gab mir höchstens 2 Jahre bis zum Nervenzusammenbruch... Glücklicherweise irrte er sich und es wurden recht erfolgreiche 3 Jahrzehnte, bis der Körper massiv rebellierte...

Während meiner pädagogischen Ausbildung in Berlin versuchte ich mich auch als Kinderbuchautor und malte Bilderbücher, deren Veröffentlichung aber letztlich immer an meiner Bereitschaft scheiterte, gewünschte inhaltliche oder formelle Korrekturen durchzuführen. Die Lieder aus jener Zeit habe ich fast alle verbrannt, denn sie kamen praktisch nur aus dem Kopf und nicht aus dem Bauch, sie haben als Lieder einfach nichts getaugt.

1974 kehrte ich wieder in die geliebte Waldheimat zurück, verweigerte den Kriegsdienst und betreute als Erzieher in einem Klosterinternat männliche Gymnasiasten. In dieser Zeit konnte ich auch selber vieles an Bildung nachholen und künstlerisch wirken. Ich gab Musikunterricht, baute Theater- und Musikgruppen auf und führte sie bis zur Auftrittsreife. In Zwiesel kämpfte ich für ein Jugendzentrum und war eine Weile Fachgruppenvertreter für die Sozialpädagogen in der GEW in Niederbayern. Eine Weile wirkte ich beim Ortskartell des DGB mit, wo ich aber mit meiner idealistischen Einstellung ein Fremdkörper blieb. 1977 flüchtete ich zum zweiten Mal aus der Heimat, weil ich die Widersprüchlichkeit und die Demokratiefeindlichkeit des Katholizismus nicht mehr aushielt. Ich fand im Allgäu eine Stelle als Internatsleiter und betreute 15 Jahre lang jugendliche Berufschüler. Es gelang mir das Internat zu einer Mischung aus Jugendzentrum und kleiner Volkshochschule zu gestalten, mit einem Freizeit- und Bildungsprogramm, das weit und breit einmalig war. Ich initierte Heimleitertreffen auf bayerischer Ebene und wurde auch als Referent eingeladen mein pädagogisches Konzept etwa in Dillingen, Lindau und Weihenstephan vorzustellen.

Ende der siebziger Jahre trat ich aus der Katholischen Kirche aus, weil sie mir zu unchristlich und inhuman war. Das Fass zum Überlaufen brachte ein kirchliches Heiratsverbot für zwei körperlich behinderte Menschen, die sich in ihren Handycaps prima ergänzten aber keine Kinder kriegen konnten, was für Rom ein Hinderungsgrund für die Ehe ist...

Ich war früher ein frommer katholischer Bub und engagierter Pfadfinder, nach deren Regeln ich auch heute noch zu leben versuche. Ich habe übrigens die Bibel zeitlebens immer wieder studiert, um vielleicht doch irgend etwas zu finden, was dieser Welt helfen könnte. Bis auf ein paar Gedanken in der Bergpredigt und beim Prediger bin ich aber nicht findig geworden, im Gegenteil). (siehe auch....) Heute habe ich mit Religion nichts mehr am Hut, bin aber nichts weniger als ein "Schriftgelehrter" und wenn ich heute die Religionen als eins der größten Hindernisse für ein friedvolles globales Miteinander bezeichne, sollte man zumindestens darüber nachdenken..

Auch die Gewerkschaft verließ ich 1978, weil Vertreter des DGB für Atomkraft und Rüstungsexporte eintraten und unbeirrt mit ihren prozentualen Lohnforderungen die Einkommensschere immer weiter auseinandertrieben. 

Von dieser Zeit an suchte ich meine Lebensaufgabe darin als unabhängiger Geist meine Mitmenschen mit kritischer Kunst zum Nachdenken zu bringen. 1979 veröffentlichte ich meine erste Langspielplatte im Selbstverlag und reiste als "renitenter bayerischer Barde" zu Konzerten in ganz Süddeutschland, unter anderem lud man mich dreimal zum Nürnberger Bardentreffen, wo ich 1983 und 1984 (für meine Verhältnisse) große Erfolge feiern konnte. Fast jedes Jahr folgte eine neue musikalische Veröffentlichung, ab 1983 auch immer wieder Büchlein, in denen ich die Texte sammelte, die sich nicht singen ließen. Alles was sich sprachlich nicht ausdrücken ließ, malte und zeichnete ich, blies es in Glas oder formte es in Lehm. Einige Jahre nahm ich bei der Kunstausstellung "Zwiesler Buntspecht" teil, hatte auch Einzelausstellungen in Irsee (1980), Deggendorf (1983) und Weißenstein (1985) und hielt immer wieder auch Vorträge über philosophische Themen, vor allem zum Thema Arbeit und Lebenskunst

Ab Anfang der achtziger Jahre wurden auch Presse und Rundfunk auf mich aufmerksam und portraitierten mich immer wieder mal. 1985 wurde ich nach einem Auftritt im Stuttgarter Renitenztheater vom Fernsehen eingeladen, was ich aber zu verschieben bat, weil ich gerade an diesem Wochenende im Bayerischen Wald mit meiner Familie die Kartoffeln stecken wollte. Das Fernsehen rührte sich nie mehr...  (Halt! Fast vergessen, 2006 oder 2007 besuchte mich das Bayerische Fernsehen mit Luise Kinseher in einem Beitrag über den Bayerischen Wald.... Der Film wird immer wieder mal auf Bayern Alpha wiederholt)

In Presseartikeln wurde ich als Aufklärer und moralische Instanz beschrieben, also alles Attribute, die im kommerziellen Musikgeschäft nicht vorkommen. Um meine Lieder nicht von merkantilen Zwängen kastrieren zu lassen, produziere ich meine Schallplatten, Bücher und CD bis heute im Eigenverlag, was kleine und kleinste Stückzahlen bedeutet. Da ich aber meinen Brotberuf als Pädagoge nie aufgab, konnte ich mir leisten ohne Gewinn zu arbeiten, es mußte nur soviel wieder hereinkommen, um damit die nächste Produktion finanzieren zu können und meine Familie nicht mit den Kosten zu belasten.

1992 folgte ich einem Ruf in meine alte Heimat und baute in den folgenden zehn Jahren als Einrichtungsleiter den neuen Wohnbereich der Lebenshilfe Regen mit auf. Wegen gesundheitlicher Probleme gab ich ab Anfang der 90iger Jahre nur noch selten Konzerte und konnte ab 2002 auch meine sozialpädagogische Arbeit nicht mehr fortsetzen. Lieder entstehen aber bis heute, wenn auch seltener. Ende der Neunziger habe ich versucht die Prologe zu meinen Liedern aufzuzeichnen. Schließlich begann ich alle Lieder als Videoclips aufzunehmen und stellte sie als "mein längstes Konzert" ins Netz, täglich ein Lied in chronologischer Reihenfolge.  

Parallel zu meinen Liedern mischte ich mich immer öfter in Kommentaren und Leserbriefen in das politische Geschehen ein. Meine Themen blieben dabei die alten: Widerstand gegen Militarismus, Naturzerstörung und Aufklärung über politische Hintergründe, die von den Medien verschwiegen werden und Eintreten gegen jede Art von Dogmatismus, Inhumanität und Behördenwillkür. 1997 wurde ich auf die demokratischen Möglichkeiten des Internets aufmerksam und begann - wieder einmal als Autodidakt - eine Art "Internetzeitung" zu betreiben, in der ich zu Themen der Zeit Stellung nahm und meine Lieder und Malerein kostenlos präsentierte, also diese Seiten, lieber Leser, auf denen du dich gerade bewegst. Da in Zeitungen, besonders im Zwiesler Bayerwaldboten, meine Leserbriefe auch immer arg verstümmelt wurden und durch willkürliche Überschriften einen falschen Zungenschlag bekamen, bot ich auf meinen Seiten die vollständigen Kommentare an und auch solche Kommentare, die gar nicht erst gedruclkt worden wären. Wobei die Passauer Neue Presse im überregionalen Teil zum allgemeinen Erstaunen hunderte Briefe von mir abdruckte, die deutlich von der strukturkonservativen politischen Ausrichtung der Zeitung abwichen.

Meine eigenen Internetseiten firmierten erst unter dem Label "Zeisal & Krohansl", dann unter "waldzeitung.de", was ich da doch zu aufgeblasen fand, denn um eine wirkliche Zeitung zu betreiben, hatte ich weder die Zeit noch die Geduld, denn da müsste ich Artikel zu Themen anbieten, die mich überhaupt nicht interessieren. Außerdem hätte ich dann "ausgewogen" zu sein, was ich eindeutig nicht bin. So kam es zum Wortspiel "freigeisst.de".

Sagte früher einmal ein Politiker, ich reiße einem beim Streicheln schon die Haut auf, so habe ich mir heute das "Streicheln" weitgehend abgewöhnt, denn das Leben ist zu kurz, um das, was man zu sagen hat, noch in Zuckerwatte zu verstecken. Heute gelte ich deswegen als ein politischer Prediger und sitze meist zwischen allen Stühlen. Doch ist dies der einzige Platz, wo nach meiner Auffassung ein "anständiger" Barde zu sitzen hat. Tatsächlich sind aber nur etwa ein Drittel meiner mittlerweile über sechshundert Lieder in irgendeiner Weise politisch, der überwiegende Teil handelt von anderen Themen, die mich in meinem Leben bewegten. Auch wenn man es meinen oft spröden Schriften nicht ansieht, bin ich im Alltag doch eher ein "fröhlicher Grantler", was sich in vielen meiner Lieder auch niedergeschlagen hat.

Immer wollte ich auch der Welt - vor allem den hochnässigen großstädtischen Gschaftlern - beweisen, dass Lieder nicht provinziell sein müssen, nur weil sie in Mundart verfasst sind und dass Heimatliebe und Weltoffenheit sehr wohl zusammengehen. Und dass es auch ein anderes Bayern gibt, jenseits der verbreiteten Klischees... - vernünftig und freisinnig!



Portrait Coverinnenseite "Ausgewählte Hirnbatzl" 2000