© Helmut
Josef Geiss
Gedanken zur
Kunst
Texte entstanden von 1980
bis 1992
"Kunst kommt von
Können!" sagen meine Lehrer.
"Das ist keine
Kunst!", höre ich, wenn einer was tut, was andere auch können.
Im
Lexikon finde ich Kunst definiert als: "gestaltende Tätigkeit des
Menschengeistes in Architektur, Plastik, Malerei, Grafik, Musik, Dichtung,
Theater, Tanz..., im Gegensatz zur Natur und zum Handwerk." Und es heißt,
dass "freie Kunst nicht zweckgebunden" sei.
Ist
Kunst also gestaltende Tätigkeit um ihrer Selbst willen? Selbstzweck, ohne
Ziel, nur Zeitvertreib, schönes Spiel also, ohne praktischen Nutzen, ohne
Wirkung?
War
dann der zum Faustkeil zielgerichtet geformte Stein also keine Kunst? Oder das
absichtliche Schmelzen des Erzes, die Komposition eines Verbrennungsmotors, die
einer Atombombe?
Gibt
es überhaupt zweckfreies menschliches Tun? Ist nicht das abstrakte Komponieren
origineller Farben und Materialien auch Ausdruck irgendeines Antriebes?
Vielleicht nicht so unmittelbar als praktische Sache erkennbar, wie die
Herstellung eines Werkzeuges, aber doch motiviert, etwa durch Erhoffen
gesellschaftlicher Anerkennung - die sich auch in bezifferbaren Vorteilen
niederschlagen kann - in Erstreben eines Selbstwertgefühles durch
"gottähnliches Erschaffen von Neuem", und - wenn es Schaffen aus reiner Freude am
Schaffen geben sollte, wessen ich sicher bin, dann ist damit eben Lust
verbunden, deren Erstreben wohl auch etwas Zielgerichtetes ist.
Wenn
die Schaffung oder die Betrachtung eines Werkes Gefühle und Gedanken erzeugt,
vielleicht sogar den Horizont erweitert, gedankliche Grenzen sprengt, neue
Gedanken entstehen lässt, entspannt, Lust schenkt oder heilsame Empörung und
damit die Kraft zu einer notwendigen Veränderung, dann ist dies doch eine
Wirkung, vielleicht ein Nutzen, der den einer Schaufel oder eines Rades
vielleicht noch übertrifft.
Intelligenz
sei das, was der Intelligenztest misst, erklärte ein Psychologe. Analog dazu
schließe ich, das Kunst dann das ist, was auf dem
Kunstmarkt seinen Preis hat. Und seinen Preis hat nur, was bekannt ist und
gerühmt wird, das Gefallen kommt dann irgendwann von alleine.
Kunst
wäre dann also vor allem eine Ware, die als Kunst bezeichnet wird. Kunst - also
nur Etikettierung für Objekte, die von Menschen aus bestimmten Motiven als
Kunst definiert werden?
Es
gibt keine allgemein gültigen Wertmaßstäbe für Kunst. Was bleibt ist der
individuelle Geschmack, über den sich bekanntlich nicht streiten lässt. Es sind
also letztlich Gefühle, auf die es ankommt, aber was wäre für uns sonst von
Belang?
Ein
aus Vorhandenem Auswählender wird von Kritikern und Kunstpäpsten als
unoriginell wenig geachtet und Eklektiker genannt. (Von jenen Leuten also, die
sich ihre Weisheit, ihr Kunstmaß, natürlich angelesen haben). Den Nachahmer
großer Vorbilder verspotten sie als einen Epigonen. Doch steht am Anfang immer
die Nachahmung. Der ganze Erfolg der menschlichen Entwicklung beruht darauf.
Gäbe es das Nachahmungslernen nicht, müsste ein jeder wieder alles neu
erfinden, alle Lernprozesse durchleben. Es ist also nur recht und billig (genau
betrachtet gar nicht anders möglich), dass wir vorhandene Steine aufsammeln und
daraus ein neues Haus bauen. Doch selbst das Haus ist ein vorgefundener Gedanke
und mancher, später als genial und groß empfundene Versuch, ist aus
verunglückter Nachahmung entstanden. Aus nichts kommt nichts und diese Wahrheit
stimmt auch hier. Alle schöpfen aus Vorhandenem und wenige kombinieren dieses
Vorhandene zu Neuem.
Seinen
Lohn hat der Künstler schon beim Arbeiten, oder er bekommt ihn nie. Wenn es
einem gelingt etwas so zu schaffen, wie man es in sich fühlt, dann ist das eine
kaum überbietbare Lust. Wenn ein späterer Betrachter, Hörer oder Nachdenker
davon einen Zipfel erhaschen kann, dann freut das den Künstler, natürlich auch
wenn dadurch die brotlose Kunst zu Brot wird. Doch während des
Schaffensprozesses hat das für ihn keine Bedeutung.
"Kunst
darf nicht nur dekorativ-ästhetischen Ansprüchen genügen, sondern muss sich
auch ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung bewusst sein!". Dies forderte
ich Anfang der achtziger Jahre. Ich meinte damit, dass sich Künstler nicht
damit begnügen dürfen das sinkende Schiff Erde ein wenig zu dekorieren und den
vielen Rost stellenweise mit Farbe zu überschminken. Und jetzt, über ein
Jahrzehnt später? Achselzucken.
Wodurch
und womit künstlerisch geschaffen wird, ist alleine Handwerk. Die eigentliche
Kunst passiert im Kopf und ist meist nur eine Sache von Sekunden.
Sie
hören heute meine Lieder und Texte und sehen an den Wänden meine Bilder. Bei
mir ist es so: Was mich längere Zeit beschäftigt, muss ich verarbeiten,
versuchen, für mich auf eine Formel bringen. Ich suche dann nach der
angemessenen Ausdrucksform. So entsteht einmal ein Bild, ein anderes Mal ein
Lied, dann eine Geschichte, seltener eine Skulptur, manchmal ein Text. Immer
suche ich nach einer möglichst kurzen Zauberformel, wenn diese dann auch ein
passender Schlüssel zum Kopf und Bauch meiner Mitmenschen ist, umso besser.
Aber ob das, was bei diesem Bemühen schließlich herauskommt Kunst ist, spielt
bei mir als Beweggrund kaum eine Rolle. Das sage ich mit einem gewissen Hochmut
gegenüber dem, was man so als Kunst versteht. Sie scheint mir ein Geschäft zu
sein, wie jedes andere. Mein Schaffen ist davon bislang gänzlich unbeeinflusst.
Zudem
läuft der eigentliche künstlerische Prozess unsichtbar im Kopf ab. Seine
Umsetzung in visuell oder akustisch wahrnehmbare Werke, ist mehr eine
handwerkliche Angelegenheit, das Ergebnis immer nur ein müder Widerschein der
ursprünglichen Idee.
Meine
Kunst ist mir aber nicht nur Transportmittel für Gedanken, die Form ist mir
schon auch wichtig, doch darüber kann ich nicht reden, denn hier werde ich vom
Bauch bestimmt und dieser formuliert nicht.
Ich
zeichne seit meiner Kindheit, wodurch sich eine gewisse handwerkliche
Geschicktheit entwickelte. Während meiner Fachschulzeit übte ich diese
Fertigkeit weiter und lernte themenbezogen zu arbeiten, in dieser Zeit kam ich
auch mit moderner Kunst in Kontakt. Irgendeine wirkliche künstlerische oder
kunsthistorische Ausbildung habe ich nicht genossen. Man kann daher sagen, dass
mir "nur wenig künstlerische Bildung im Weg steht. Diese Formulierung ist
kein Kokettieren, denn ich kenne Kunsterzieher, die sich nicht mehr selber zu
malen getrauen, weil sie zuviel über Malerei wissen.
Aber
es nicht nur das Wissen, das künstlerisches Tun nicht fördert, das
Entscheidende ist der Antrieb, ich meine, ob man etwas auszudrücken hat,
ausdrücken muss. Das ist meine Stärke: ich male, weil ich malen muss. Ich mache
dies mit recht gewöhnlichen Mitteln, ohne Kenntnis moderner, effektvoller
Techniken.
Da
meine Arbeiten so sehr inhaltlich motiviert sind, weiß ich nicht, wie lange ich
künstlerisch arbeiten kann. Ich meine eigentlich bei jeder Arbeit, dass diese
meine letzte sein kann, denn mit ihr habe ich den mich beschäftigenden Gedanken
ja "erledigt". Und ob immerzu ein neuer kommt - wer kann so etwas
schon voraussagen.
Als
Mundartliederdichter ist mein Hörerkreis geographisch arg beschränkt. Die
Malerei dagegen ist sozusagen meine internationale Ausdrucksform. Bei Bildern
kann sich jeder seine Gedanken machen, auf chinesisch grad so wie auf englisch oder bayerisch.
Gelegentlich
höre ich, meine Arbeiten seien überzeichnet und nicht ausgewogen. Richtig, doch
wäre eine ausgewogene Kunst nicht etwas sehr lächerliches?
Manche
Dinge und Vorgänge bleiben den meisten Menschen unsichtbar, sei es durch
Reizüberflutung oder Gedankenlosigkeit. Nur überzeichnete, provokative oder
besonders originelle Signale dringen in die Köpfe. Ich schließe mich Günther
Anders Meinung an, dass Überpointierung nicht der Lust an Pointen entspringt,
sondern der Sorge, anders nicht gehört zu werden.
Zur
Ausgewogenheit. Ich bin Erzieher und kann als Künstler niemand anders sein. Es
ist ein überaus fruchtbares Wechselspiel, das eine befruchtet das andere. Der
Schaffensprozess wirkt sehr vorteilhaft auf mich selber, weil er mein Leben
bereichert und versüßt, was wiederum inhaltlich in die Arbeiten einfließt.
Daneben setze ich mir mit dem Schaffen selber Orientierungsmarken, denn ein
Erzieher sollte ja zu allererst sich selber erziehen.
Als
solcher suche ich das Gleichgewicht. Weil ich es in der Wirklichkeit nicht
vorfinde, muss ich der einen oder anderen Seite gleichsam durch Überzeichnung
ein Gegengewicht verschaffen, also durch Unausgewogenheit versuchen ein wenig
Ausgewogenheit herzustellen!
Meistens
beziehe ich Stellung, versuche die Gleichgültigen wachzurütteln, ihnen mit
meinem Beispiel Mut zu machen, versuche Zusammenhänge aufzuzeigen und an die
Wurzeln zu gehen.
In
der Gewichtung schwanke ich manchmal zwischen Ästhetik und Ethik, wobei mir
letztere im Zweifelsfall wohl doch mehr bedeutet. Doch verlasse ich mich auch
hier auf mein Gefühl und das rebelliert, wenn beides nicht zusammenklingt.
Es
gibt keine Kunst im luftleeren Raum, immer spiegelt sie auch den Schaffenden,
seine Zeit, seine Hoffnungen, Leidenschaften, Sorgen und Befürchtungen und
seine spielerische Kraft. Kunst ist nach meinem Empfinden erst Kunst, wenn sie
ein Spiel ist, doch das gilt für jede wirkliche Arbeit.
Wenn
ich so nach Ausgewogenheit durch Unausgewogenheit strebe, bin ich durchaus auf
der Hut mich vor keinen Karren spannen zu lassen, den ich nicht mitziehen will.
So bin ich bemüht, mich mit meinem Schaffen stets auf die Seite derer zu stellen,
die eine größere Gewichtung benötigen, das sind naturgemäß niemals die Reichen
und Mächtigen.
Der
künstlerischen Arbeit widme ich mich nur in den Pausen, die mir mein
pädagogischer Brotberuf lässt, dafür gibt es mehrere Gründe. Wollte man von der
Kunst eine Familie ernähren, wäre das eine recht unsichere Sache. Man müsste um
die Gunst von Galeristen, Kritikern, Mäzenen und der des Publikums buhlen, was
mich völlig lähmen würde. Nur wer nicht von seiner Kunst zu leben braucht, kann
frei arbeiten. Ein nicht unbedeutender Nebeneffekt ist, dass man nicht zu sehr
aus der Realität abgleitet, in der einen ein Brotberuf verankert. Dieser
Umstand war mir durch die kostenlose Darreichung der ganzen Palette
menschlicher Unzulänglichkeiten auch eine bislang unerschöpfliche
Schaffensquelle.
Ich
liebe es mit Tönen zu spielen, keinen anderen Sinn verfolgend, als den Ohren zu
schmeicheln. Wie schön ist doch Musik, die nur die Ohren und die Herzen der
Menschen berührt und sonst die Welt lässt wie sie ist!
Irgendwann,
oft erst nach einer Stunde, wenn ich mich in Phrasen fest zu flöten beginne,
lege ich das Instrument zur Seite, nehme einen kräftigen Schluck Apfelmost und
schreibe oder zeichne auf, was mir beim Flöten in den Sinn kam. Danach,
vielleicht wieder nach einer Stunde, beschließe ich den Tag mit der Lektüre
eines Buches.
Ich
liebe es in Büchern nachzuempfinden, was ein Mensch einmal gefühlt und gedacht
hat, freue mich, wenn ich neben einer Handlung Tiefe finde, wenn Bücher mehrere
Ebenen haben und wenn ich - in den Zeilen oder dazwischen - Liebe zu den
Menschen spüre und Sehnsucht nach dem Gutem und Schönem. Ich fühle mich Autoren
verbunden, die schon lange tot sind, die aber in mir wieder zu leben beginnen,
wenn sie es nur schaffen mich zu bewegen.
Erst
seit ich um die Mitte der achtziger Jahre alles erreicht oder wenigstens
reichlich probiert hatte, was mir wichtig schien, hörte ich auf ein Getriebener
zu sein und wurde zu einem Leser, wie ihn sich Schriftsteller wünschen. Einer
der offen ist für alles Feine und Zarte, einer, der ein Buch nicht wie ein
Ausgehungerter nach Essbarem durchstöbert, sondern sich geduldig durch
gedankliche Labyrinthe führen lässt und seinen Geschmack soweit verfeinert hat,
dass er auch an Ungewürztem Genuss empfindet.
Wer
nicht zuhören kann, wer nur am praktischen Nutzen interessiert ist, wer in
Büchern praktische Schaltpläne für den Alltag sucht - wie soll der sich einer Erzählung
von Thomas Mann hingeben können oder einer von Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoj,
Hermann Hesse, Adalbert Stifter, Max Frisch, Umberto Eco, Hans Bemmann, Arnold
Zweig? Wie soll der sich an den Gedanken eines Goethe, Nietzsche, Laotse oder
Humboldt erfreuen können?
Nur
wer die Menschen liebt, wen interessiert was sie machen, denken und fühlen, hat
das Zeug zu einem richtigen Leser. Ich bin in den letzten Jahren zu einem
derartigen geworden, habe die dazu notwendige Ruhe gefunden und das innere
Gleichgewicht. Dieser Zustand war erst möglich geworden, als ich alles gesagt
hatte, was ich meinte sagen zu müssen. Wer kann schon ein volles Gefäß noch
weiter füllen? Und ich war übervoll gewesen, voller Sorge um alles Lebendige,
das ich aufs Äußerste bedroht sah, voller Abscheu und heiligem Zorn gegen
diejenigen, die ich als Schuldige ausgemacht hatte. Wie sollte ich da Muse
finden über Zweiglein nachzudenken, wenn ich den ganzen Wald bedroht sah? Erst
als ich meine Anklagen in die Welt hinaus geschrieen hatte, war mir eine große
Last von der Seele genommen.
Heute
verstehe ich meine frühere Geringschätzung der Literatur nicht mehr, als sie
mir Zuckerwerk und Hirngespinst für Müßiggänger war. Denn stammt nicht alle
menschengemachte Wirklichkeit aus Gespinsten des Gehirns? Spiegelt sich darin
nicht immer auch die Wirklichkeit? Und haben nicht immer Gedanken, ob zu
Drucklettern erstarrt oder nur in menschlichen Köpfen vorhanden, die Welt
verändert? Niemand wird dies wohl ernsthaft bestreiten, wenngleich dabei nur
selten an schöngeistige Literatur denkend. Doch auch das Gute und Feine muss
erst einmal gedacht und ausgesprochen werden, damit es nachgedacht und
vielleicht auch menschliches Verhalten bestimmen kann. Alles Gute scheint mir
aus guten Tagträumen zu erwachsen, diese wiederum gibt es nur durch die
Erfahrung des Bösen, des Verwerflichen, des Zerstörerischen. Mit dieser
Erkenntnis einhergehend gewinnen auch die konkreten Lebenserfahrungen der
Menschen, ihre Meinungen, Hoffnungen, Erfolge und Irrtümer an Bedeutung.
Vor
Jahren habe ich auf einer Kunstausstellung auf die Frage, wie es mir gefallen
habe, mit einem ehrlich empfundenen, aber dummen "grässlich!"
geantwortet, heute lobe ich was mir gefällt und schweige über das andere. Es
ist aber nicht nur ein Mehr an Freundlichkeit, das zu diesem Sinneswandel
geführt hatte, vielmehr die wiederholte Erfahrung, wie sich Einschätzungen,
Interessen und Schönheitssinn wandeln können, wenn man sich nur ein wenig
Offenheit zu bewahren versteht. Wie oft gefällt einem etwas nur nicht, weil man
es nicht versteht, um es dann ein paar Jahre später zu bewundern. Ich denke an
die deutsche Expressionisten, mit deren Malereien ich einmal so wenig hatte
anfangen konnte und die ich heute so liebe, denke an Picasso, Bach, Händel und
Beethoven, an Goethe, Nietzsche, Frisch und Thomas Mann, mit denen es mir
einmal ähnlich ergangen war, denke aber auch an Apfelmost, Gartenarbeit und
frisches Gemüse - alles Dinge, die ich ebenfalls einmal abgelehnt, nun aber um
so mehr ins Herz geschlossen habe.
Zu
jenem harten Urteil über die Ausstellung soll aber doch entschuldigend
angemerkt werden, dass ich damals von der Sorge um die sterbenden Wälder und
der Angst vor immer neuen Atomraketen erfüllt war, von denen ich die Zukunft
unser Kinder bedroht sah. Nur diejenige Kunst schien mir in jener Zeit Berechtigung
zu haben, die Menschen wachrüttelt und zur Umkehr mahnt; das Pinseln von
Idyllen, erschien mir so, als würde einer die Planken eines sinkenden Schiffes
mit Blümchen verzieren.
Mit
den Jahren bin ich geduldiger geworden, toleranter, vielleicht ein bisschen
weiser - oder hat nur meine Gleichgültigkeit zugenommen?
Kitsch
kann ich zwar noch immer nicht ausstehen, doch ich schimpfe darüber nur noch
leise und wende mich dem zu, was ich als Kunst zu erkennen meine, auch wenn
thematisch von Politik und Ökologie meist nicht die Rede ist. Doch mittlerweile
habe ich erkannt, dass wirkliche Kunst durch ihre Ehrlichkeit, ihrer
kompromisslosen Suche nach neuen Ausdrucksformen, alleine durch ihre Existenz
politisch ist, weil sie das Denken der Menschen anstößt, weil sie nichts mit
dem Kleinkarierten, mit dem Dumpfen, mit dem Engen gemein hat, was ich als
Schoß allen Übels ausgemacht habe.
Moderne
Kunst mag dem betrachtenden Laien als lockere Sache erscheinen, als Spaß
vielleicht sogar, gewiss aber als etwas, was der Erbauung und Freude dient.
Auch für den Künstler erscheint sie zeitweise so etwa, wenn einem die Idee
kommt, oder wenn die Arbeit im Flusse ist, dazwischen steht aber oftmals die
Qual des Konzeptes, die Schwierigkeit einen "Götterfunken", der ja
meist nicht mehr ist als eine Ahnung, ein erhebendes Gefühl in der Brust - in
wahrnehmbares Ding zu verwandeln, etwas noch nicht vorhandenes in die Welt zu
bringen. Doch übersetze einmal ein Gefühl in Sprache, in Farben oder Töne! Aber
gerade dieses Erschaffen ist die eigentliche Kunst, das, was die Kunst vom
Kunsthandwerk trennt, den Künstler vom Kunstfertigen. Nicht das handwerkliche
Geschick unterscheidet (von diesem hat jener nicht selten mehr), umso mehr der
Hunger nach dem Schaffen von Neuem, das drängende Bedürfnis, der innere Zwang
zur Gestaltung etwa einer Oberfläche auf nie da gewesene Weise, die
Neukomposition von Materialien und Reizen, Tönen oder Worten; der Drang
Zusammenhänge aufzuzeigen, neue Verbindungen herzustellen, Gedanken fest zu
halten.
Während
das Kunsthandwerk Arbeit ist, weil auf irgendeine Art fremdbestimmt, so ist
Kunst, wie ich sie verstehe, die höchste Ausdrucksform des menschlichen Tuns:
Exploration, Elaboration, Emotion, Spiel.
1
Bei
mir war es immer so: nur was in einem Zug entstand, zumindest in den
Grundzügen, war gut und blieb es auf Dauer. Alles zäh Entstandene wurde leicht
langweilig, trocken, gestelzt, künstlich im schlechten Sinn, eben nicht aus
einem Guss. Immer wenn ich an Bildern tage- und wochenlang pinselte, nahm ich
ihnen ihr Leben, verlor sich für mich ihr Reiz durch Gewöhnung. Wie viele
Bilder habe ich totgemalt und danach zerstören müssen, weil ich sie nicht mehr
sehen konnte!
Durch
den Verzicht auf derartiges Tun beraube ich mich aber auch glückspendender,
anheimelnder handwerklicher Tätigkeit, die kein dauerndes quälendes Erschaffen
verlangt, an der man sich auspinseln, bei der man meditieren, Musik hören,
Tagträumen kann (ach, wie erholsam kann das sein!), eine leistbare,
überschaubare Arbeit, die einen schon am Morgen begrüßt und zum Schaffen
einlädt.
Heute
habe ich gelernt mir diese verlorenen Glücksgefühle durch nützliches
handwerkliches Tun anderer Art zu beschaffen, denn wirkliches künstlerisches
Schaffen (oder was ich dafür halte) verlangt alle Konzentration, ist ein
hochdramatischer Vorgang, ein Kampf zwischen Geist und Materie, bei dem
letztere meistens siegt. Und sein Einfallen ist dem Willen und dem Kopf
entzogen, ist ein Geschenk (der Götter?), grad wie etwa die Zuneigung, die
Lust, der Schlaf und der Stuhlgang.
2
Eine
leere Fläche schreit nach Gestaltung - doch wo anfangen - und wie? Es gibt
immer unzählige Möglichkeiten, noch niemals zuvor begangene Wege. Alleine die
Wahl des Werkzeuges entscheidet über so viel. In Sekunden ist alles entschieden
- wer führt mir die Hand? Der Verstand oder das Gefühl? Gerade der Geübte ist
voller Phrasen, tausendmal eingeübter Linien, fertiger Muster - gerade das, was
man Fertigkeit nennt, steht einem beim freien Gestalten am allermeisten im Weg.
Schau nur einmal die Bilder von Kindern an, wenn man sie noch nicht abgerichtet
hat ein Gesicht so, und einen Baum so zu malen, wenn sie noch nicht versaut
sind, mit Kenntnissen von Stilen und Kunstkriterien, von geschickter
Linienführung und Farblehre. Beim Musizieren ist es gerade so. Warum haben
gerade diejenigen die größten Schwierigkeiten zu improvisieren, die auch den
kompliziertesten Notenverhau noch flüssig vom Blatt spielen können? Wenn diese
Musikanten sich schließlich (in wenigen Fällen gelingt es überhaupt) zum
Improvisieren durchkämpfen, dann hängen sie immer noch am Tropf, haben die
Notenvorlage durch eingeübte "freie" Phrasen ersetzt, denen sie durch
geschicktes Mischen den Anschein von Improvisation geben. Wirklich spielerisch
an ein Instrument herangehen kann nur derjenige, der sich weder an Geländer,
noch an Geleise gewöhnt hat und - auf einer höheren Ebene - derjenige Könner,
dem es gelungen ist, sich von diesen Gängelein zu befreien; meines Wissens gibt
es davon aber nur vereinzelte Exemplare. Es ist eben so: zuviel Bildung und
Können stehen dem Schaffenden nicht selten im Weg.
3
Zu
mir. Ich habe schon frühzeitig gelernt nach der Natur zu zeichnen.
Lange
Zeit galt die Perfektionierung dieser Fertigkeit als der Inbegriff von Kunst.
Wer die besten flächigen Illusionen erzeugte, galt als der größte Künstler, ich
erreichte hier bestenfalls mittlere Ergebnisse.
Dagegen
schaffte ich es erstaunlich früh, das kleinliche lllusionieren aufzugeben und
mit Zeichenstift oder Pinsel locker, im Stile eines wild kritzelnden
Karikaturisten, zu hantieren. Doch irgendwie konnte ich diese Fertigkeit nicht
recht ernst nehmen, war alles doch viel zu schnell fertig und mir bekannte
Künstler pinselten wochenlang an einem Bild herum. Also begann ich diese
nachzuahmen und heraus kamen jahrelang starre Bilder, wenngleich sie wegen der
Bildidee oder ihren kritischen, politischen oder ökologischen Inhalten, lobende
Betrachter fanden.
Als
ich inhaltlich alles gesagt hatte, wurde mir die Schwäche meines Stiles bewusst
und ich experimentierte viel herum. Da sah ich bei einer Ausstellung, an der
ich auch beteiligt war, Bilder, wie ich sie in meinem Herzen schon oft gemalt
hatte - wild und lebendig und scheinbar nur so hingefetzt. Das war es! So
konnte ich auch malen! So wollte ich auch malen! Das war wirkliche Malerei! Ich
besuchte den Maler, Peter Zeiler, und erfreute mich an seinen Bildern. Doch
meine Malerei wurde dadurch noch lange nicht besser. Zeilers Malart kopieren
wollte ich eben so wenig wie zehn Jahre zuvor die von Hundertwasser, Paul Klee,
Egon Schiele oder von Max Ernst, deren Bilder mich auch einmal sehr begeistert
hatten.
Ich
musste anders malen, wie - das hatte ich nur als dumpfes Gefühl in der Brust.
Wie es so ist, wenn man sich in einer Krise fühlt, kamen plötzlich verstärkt
all die Medien - deren Aufmerksamkeit man sich früher so gewünscht hatte - und
wollten mich porträtieren. Sie konnten nur schwer begreifen, dass ich mich
nicht als Maler vorstellen lassen wollte, wo ich doch gegenwärtig keiner war!
Meine alten Arbeiten vorstellen wollte ich nicht, wollte sie weder zeigen noch
verkaufen, ja hätte sie am liebsten mit Stumpf und Stiel ausgerottet, (grad so
wie meine erste Schallplatte).
Doch
tief in mir saß weiterhin die Gewissheit ein Maler zu sein. Ich spürte, dass
dort Hunderte von Bildern warteten von mir gemalt zu werden - ich spürte ganz
deutlich wie sie sein würden: wild und bunt - und doch konnte ich sie nicht
hervorbringen.
Gelegentlich
überfiel mich große Mallust, der ich dann auch nachgab, deren Ergebnisse mich
aber immer enttäuschten. Nie habe ich so viele Bilder zerstört wie damals.
Dazwischen gab es öfter kurze Arbeitsphasen, in denen ich glaubte, es endlich
geschafft zu haben - doch mit dem Fortgang der Arbeit entwickelten sich die
Bilder wieder so, wie ich sie hasste, weil ich immer wieder in alte
Gestaltungsphrasen zurückfiel. Wie oft schwor ich mir, mit der Malerei
endgültig aufzuhören! Das Ganze war eine Tragödie, ein Kampf und ein Krampf,
mit Spiel und Freude hatte es jedenfalls nichts zu tun. Dann wieder meinte ich
es geschafft zu haben: ich zeichnete irgendwelche Szenen mit kräftigem
Pinselstrich, ließ die Linien durcheinander laufen, dass hinten und vorne
verschwand und pinselte, das Bild verfremdend, die von Strichen umrahmten
Flächen bunt und flächig aus, manchmal ohne auf Zusammengehörendes Rücksicht zu
nehmen.
Eine
Weile meinte ich, nun endlich "meinen" Stil gefunden zu haben -
einen, der mir erlaubte, etwas wild nieder zu zeichnen und dann gemütlich in
Farbe zu schwelgen. Mir gefielen meine Durchdringungen, in denen es weder
Hinten noch Vorne gab - das konnte keine Kamera - war das die Malerei, die ich
so lange in mir gespürt hatte? Sie war es nicht, auch wenn ich für diese Bilder
von einigen Betrachtern recht gelobt wurde (andere wandten sich höflich
schweigend ab) und ein Bild sogar für einen beachtlichen Preis verkaufen
konnte. Die Leere danach war eher noch tiefer. So ging die Suche nach
"meinem" Stil weiter. Heute weiß ich, dass diese Vorstellung eine
Illusion ist, zumindest für mich, denn ich werde mir lebenslang immer wieder
"meinen" Stil erkämpfen müssen, wie in allen anderen Lebensbereichen
auch. So wird jedes Bild, jede Geschichte, jedes Lied immer eine
unverwechselbare Sache sein, mit bestimmten Verwandtschaften zwar, aber doch
aus dem Bemühen geboren, etwas Neues zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass es
mein künstlerisches Todesurteil wäre, würde ich "meinen" so lange
gesuchten Stil wirklich finden.
Kunst
kommt von künstlich
Kunst
kommt nicht von Können, auch wenn das Generationen von Lehrern immer wieder
behaupteten. Kunst kommt von "künstlich", im Gegensatz zum
Natürlichen, zur Natur. Mit allem Künstlichen versuchen die Menschen es der
großen Schöpferin Natur oder dem lieben Gott nachzutun. Mit ihren bewussten
Schöpfungen suchen sich die Menschen von den Tieren abzuheben, die auch ohne
diese anmaßenden Spielereien gut leben können.
Wie
soll man einen Roman schreiben, wenn überall Bücher herumliegen und zum Lesen
verführen, wenn täglich eine Zeitung im Briefkasten steckt, Briefe, die
beantwortet werden wollen. Wie soll man schreiben, wenn einen der Büroalltag
mit hundert Sachzwängen am Wickel hat? Wie, wenn im Fernsehen Steffi Graf
Tennis spielt und es mehrmals täglich wunderbare Dinge zu essen gibt?
Wie
soll man schreiben, wenn draußen die Sonne lacht und die Bienen summen, wenn
die Kinder lachen und wenn Besuch kommt? Wie, wenn das blaugrüne Wasser der
Kiesweiher lockt, die schattigen Wertachauen zum Spazieren gehen, die blühenden
Kräuter zum Sammeln?
Seit
ich den Werther gelesen habe, kann ich mich nicht mehr mit der klassischen
Romanform anfreunden, sie erscheint mir so eng. Auch im Falle meiner
persönlichen Erinnerungen scheint mir eine tagebuchähnliche, notizenhafte Form
geeigneter zu sein. So beschloss ich dem Leser Gedanken und Erlebnisse wie ein
Puzzle anbieten, das Gesamtbild möge er selber zusammenfügen. Puzzleteilchen
kommen Erinnerungen auch am Nächsten, denn wer kann aus seinem Leben mehr als
Momentaufnahmen wiedergeben? Immer handelt es sich dabei um Blitzlichter von
Vorgängen, kurz, aus einem bestimmten Blickwinkel, durch eine bestimmte Blende,
eine bestimmte Entfernungseinstellung aufgenommen.
Ich
trage meine Kunst nicht mehr auf den Markt, den zuwider ist mir alles
Marktschreierische und unangenehm jeder Handel.
Als
Liedermacher weiß ich wovon ich spreche: Worte trivialisieren die Musik! Die
Komposition von Tönen und Rhythmen hat oft was "göttliches“, doch sobald
man einen Text dazu macht, wird das ganze albern, menschlich beschränkt,
trivial eben. Deswegen lässt sich eine italienische Oper oder ein
amerikanischer Folksong mit deutschen Ohren auch mehr genießen, weil man den
Gesang als eine Art Instrumentenklang empfindet und den albernen Inhalt nicht
oder nur brockenweise versteht.
Nicht
immer ist es so, dass ein größeres Verständnis einer Sache die Lust an ihr
erhöht. So verlor der langjährige Freund der Rockmusik ein gut
Teil seiner Freude an ihr, als sich seine Englischkenntnisse besserten und er
von den Liedertexten mehr als nur Bruchstücke verstand.
War
ihm bislang der Gesang von exotischem Reiz, die fremdklingende Stimme
angenehmem Instrumententon vergleichbar, so schwand mit dem Verständnis der
überwiegend banalen Texte viel Geheimnisvolles und kaum ein Stück konnte er
mehr als dreimal hören...
Der
Blues war die wichtigste Spielwiese meines Lebens. Seine geordneten
Harmoniefolgen boten gleichzeitig Platz und Schutz, waren wie ein Zaun, in
dessen umfriedeter Fläche ich nach Herzenslust probieren und herumtoben konnte.
Der Blues war mir Freiheit, aber auch Geländer, auf das ich mich stützen
konnte. Heute ist er mir schon mal ein Gefängnis, in dessen Mauern ich mich mit
Phrasen quäle.
Außerhalb
finde ich jede Menge anderer umzäunter Systeme, klassische, folkloristische,
triefend harmonische, populistische und eine Menge von der Sorte, deren
Abgeschmacktheit, Leere und Phrasenhaftigkeit schon von weitem hörbar ist. Ich
machte große Bogen darum. Da ich viel zu sagen hatte, suchte ich mir eine neue
Spielwiese, in der auf Sprache und Inhalt Wert gelegt wurde.
Musikalisch
konnte ich mich dabei überall bedienen, mir von allen Systemen holen, was
geeignet schien. Über zwanzig Jahre fühlte ich mich wohl in diesen Schranken,
bis ich es leid war, Musik zum Transport von Gedanken zu benutzen.
Ach,
wie oft stand ich an den Mauern und schaute drüber hinaus! Da lagen, wie
ehedem, die umzäunten Systeme in ihrer ganzen Enge. Darum herum war nur Chaos,
lagen Töne und Rhythmen verstreut, mit allen Möglichkeiten sie neu zu
verbinden. Gelegentlich hörte ich aber Musiker durch dieses Chaos ziehen.
Vorsichtig
tastete ich mich auch dahin vor, schwer beladen mit meinen Ketten von Blues,
Rock, Klassik und Folk. Sie behinderten mich bei jedem Ton, den ich spielte,
sie abzuschütteln gelang mir nur selten. Alles was ich mühsam erarbeitet hatte,
lag schwer auf meinen Fingern. Manchmal hob ich sie trotzdem und landete nach
kurzem Freiflug bald wieder in Phrasen, gelähmt durch meine Fertigkeiten. Wie sollen, ich Armer! meiner Finger Klänge den unersättlichen
Ohren - die meinem Herzen entwachsen - je gefallen?
Geregelte
Spiele waren für mich lange Zeit nur Zeitvergeudung, Dieben gleich, die einem
die Zeit stehlen. Nur wenn ich spielerisch neues schuf, erst recht, wenn das
Geschaffene nützlich war, hatte ich das Gefühl, mein Leben nicht zu
verschwenden. Ich wollte jede Minute meines Lebens mit derartigem Sinn füllen:
Kinder erziehen, Bäume pflanzen, die Welt mit Bildern, Liedern und Texten
bereichern. So habe ich es auch über zwanzig Jahre gehalten. Ich schuf wie ein
Besessener und habe mich die meiste Zeit auch sehr wohl dabei gefühlt. Eine
ganze Reihe von Arbeiten sind dabei entstanden, die zu sehen, zu hören, mich
ihrer zu erinnern, mir heute noch Freude macht, auch wenn ich manches anders
machen würde. Ob meine Pädagogik in meinen Schülern was bewirkte, ist schwerer
zu sagen, in einigen wohl doch das eine und das andere. Es liegt mir also fern
zu behaupten, zielgerichtetes Schaffen wäre sinnlos. Doch habe ich in den
letzten Monaten auch die Freuden des Müßigganges entdeckt, ja, selbst manche
früher verachteten Spiele verstehe ich heute zu genießen. Ich habe erstaunlicherweise
auch nicht das Gefühl dabei, irgend etwas zu versäumen
und bin froh darüber.
Ich
kann mit Illusionsmalerei nichts mehr anfangen. Unter diesem Begriff verstehe
ich jene Bilder, die mit Pinsel und Farbe versuchen den Augenschein von
irgendwelchen Dingen zu imitieren.
Es
ist ein müßiges Unterfangen, zumal in Zeiten, die auf technischem Wege jeden
Schein speichern und wiedergeben können. Sicher, der mit dem Pinsel oder der
Spraydose Abbildende kann durch überraschende Kompositionen von üblicherweise
nicht verbundenen Dingen surreale Effekte erzielen, auch ich habe bis vor
kurzem so gearbeitet. Heute will ich die Dinge nicht mehr so abbilden, wie sie
dem Auge erscheinen, sondern wie ich sie in meinem Herzen empfinde, expressiv also.
Auch
von allem Beiwerk möchte ich meine Bilder freihalten, mich nie mehr in der
Gestaltung eines Hintergrundes erschöpfen, nie mehr ein Bild bis zum Rand
vollmalen, nur weil manche Leute es erst dann für vollendet halten. Die Malerei
muss flacher werden, um Tiefe zu gewinnen!
Schreiben
setzt Denken voraus. Keine höhere Kunst gibt es als dumpfes Fühlen, Bilder,
komplexe Erinnerungen, Ahnungen - in vermittelbare Sprache zu verwandeln. Und
doch ist auch diese - trotz aller Großartigkeit - nicht weniger eine Krücke wie
ein Pinsel.
Die
Welt zu betrachten und sich ihrer Belebtheit zu erfreuen, scheint mir
sinnvoller zu sein, als mit Ameisenfleiß immer neue Unzulänglichkeiten zu
produzieren. Ich habe lange gebraucht dies zu begreifen, denn ich war in der
Vorstellung gefangen, ich müsste und könnte mit meinem Tun die Welt besser
machen.
Gern
trete ich zurück, das wachsende Werk zu betrachten. Ich mache das oft, um
Abstand zu bekommen, auch um die Arbeit zu genießen. Beim Betrachten male ich
im Kopf bereits weiter, plane, verwerfe. Hier passiert die eigentliche Kunst.
Die Hände sind nur dienendes Werkzeug, sie hinken dem Kopf weit hinterher. Doch
manchmal regen sie ihn auch an, durch ihre zufälligen Produkte.
Werkorientiertheit
Wenig
bedeutet dem Künstler sein Werkzeug, sein Interesse gilt alleine dem Werk.
Diese
Zielbesessenheit und die Geringschätzung der Mittel dazu unterscheidet
ihn vom Kunsthandwerker, der sein Werkzeug pflegt und in Ehren hält.
Die
Aufgabe eines Künstlers sehe ich darin Dinge, Beziehungen und Hintergründe
erkennbar zu machen, die nicht so ohne weiteres sichtbar sind, Einzelheiten
aufzuzeigen, wenn alle auf die großen Abläufe starren, auf das Ganze zu verweisen,
wenn alle nur das Einzelne sehen, auch das Unvorstellbare dem Gefühl begreifbar
zu machen. Dazu ist Empfindlichkeit und Phantasie erforderlich, die
Kopfmenschen kaum entwickelt haben. Wer also, außer der
Künstler sollte dies sonst leisten können?
Deshalb
mag ich auch keine Kunst, die nur abbildet und das sowieso jedem Sichtbare
nachäfft.
könnte
ich lange lamentieren. Nimmt ein Regisseur einen alten Stoff und interpretiert
ihn auf eine neue und von mir aus auch verrückte Weise; ich habe nichts dagegen
und freue mich über Witz und Originalität. Anders, wenn einer alten Stoff
anpreist, ihm aber tatsächlich allen sprachlichen Geist raubt und alleine um
die Handlung ein Feuerwerk an Kuriositäten abbrennt. Und bei aller Vielfalt
finden sich beinah immer die selben Strickmuster, nicht anders als bei dem
Mist, der über unsere Bildschirme flackert, ein Nackter muss mindestens
vorkommen, eine Perversion muss in mindestens einer Szene dabei sein, ebenso
Blut, irgendeine Unappetitlichkeit und einmal muss es verbal ordinär zugehen,
das ist modern! Offenbar erwarten die Zuschauer solche vulgären Provokationen,
Pfeffer für die Bildungsbürger? Es ist die berechnende Absichtlichkeit dieses
Tuns, die mir nicht gefällt. Und selten- man mag über mich lachen - verlasse
ich ein Theater, ohne dass mir die Schauspieler erbarmen, denn was man ihnen
manchmal zu tun zumutet, verstößt meinem Gefühl nach gegen die Menschenwürde,
kein Tier ließe freiwillig mit sich derartiges machen. Sicher, die Mimen könnten
ja kündigen oder sich verweigern, doch ist es für die meisten auch folgsam
schon schwer genug sich zu nähren. Und wer kann schon die Bühne mit einer
Werkbank vertauschen?
Warum
ich auf der Gitarre so ein Minimalist bin und verglichen mit großen Virtuosen
ein Dilletant? War es Faulheit, die weitergehende Entwicklungen verhinderte
oder einfach nur mangelndes Talent? Möglich. Darüber kann ich selber schlecht
urteilen. Was ich aber weiß, ist meine schon frühe Abneigung musikalischer Zuckerbäckerei
und dem Unwohlsein bei allem Imitieren. Gewiss, ich habe auch imitiert, habe
musikalische Phrasen übernommen, doch sie waren nur das Tablett quasi, um
darauf eigenes zu servieren. Ich bin mir sicher- wäre ich ein großer Musiker,
wäre ich nicht der, der ich heute bin.
das
war Maschinenrhythmus, gleichförmig, geist- und textlos. Doch zeugte vielleicht
gerade das Letztere doch von Geist, denn diese Musik spiegelte eine Zeit, in
der alles gesagt war, in der man nichts mehr hören wollte, keine
Heilsbotschaften, Dogmen, Belehrungen, keinen Smalltalk, keinen tiefsinnigen
Worte. Dann gab es da noch Rap und Hipp-Hopp, die auch auf Melodien und
Harmoniefolgen verzichteten- die man auch nicht mehr hören wollte, dafür ging
man mit Sprache sehr inflationär um, in die von Texten überquellenden
Sprechgesänge war keine Wortverbindung zu banal um sie nicht vortragen zu
können, talentierte Singsprecher hätten durchaus erfolgreich das Telefonbuch
vortragen können. Das Positive war aber, dass man sich von formellen
Textzwängen befreite, in der ungereimten Prosa Klartext sprechen konnte, was
wohl von einigen Gruppen auch gemacht wurde. An mir, ich muss es gestehen, liefen diese Stilarten weitgehend vorbei. Ich machte selber
meine eigene Entwicklung durch, hin zum wortarmen doch nicht immer sinnlosen
rhythmischen Singsang.
Meinem
Gefühl nach war eigentlich immer jedes Lied, das ich schrieb, jedes Bild, das
ich malte, mein letztes. Die künstlerische Arbeit war mir nie ein Handwerk, das
mir sicher die Tage füllte, sondern mehr eine unberechenbare Sache. Niemals
habe ich mich mit dem Vorsatz hingesetzt, nun irgendeine "Kunst" zu
produzieren. Die Themen haben eher mich produziert, mich zu ihrem Werkzeug
gemacht. So fürchte ich ein wenig, dass mir irgendwann dieser so launische
Antrieb auf Dauer ausbleiben wird, denn ausgeblieben ist er schon immer mal, um
dann urplötzlich wieder zurück zu kehren. Diese Rückkehr verlangt aber eine
grundlegende Bereitschaft zur Erregung, egal ob freudig oder besorgt. Ich ahne,
dass dies einmal nachlassen und auch mancher Sporn in der Seite seine
antreibende Wirkung verlieren wird, etwa das Lob der Umgebung, oder Kampfwut
und - mut, die einem die Verantwortung für Kinder
schenkt. Und es verliert sich das Entscheidendste, das jedes künstlerische
Schaffen braucht, das gehörige Maß an Einfalt, der Glaube und die Hoffnung,
dass mit Worten, Tönen und Bildern ein positiver Steuereffekt möglich ist, dass
es auch für andere irgendeine Bedeutung hat, dass man etwas schafft. Am ehesten
hält sich die Fähigkeit zum Spielen und die Freude am
Gestalten, so man sie einmal entwickelt hat.