www.hgeiss.de Die Seiten des niederbayerischen Barden und Ethikers Helmut Josef Geiss, genannt
© Geiss Haejm
1980 – 1990
Der neue Götze hat einen schwierigen und hässlichen
Namen, er heißt Bruttosozialprodukt. Wie einst in biblischen Zeiten das goldene
Kalb wird er heute umtanzt und gefeiert. Doch der Götze glänzt nur oberflächlich
golden. Sein Körper ist voller Krebsgeschwüre, dessen Metastasen das ganze Land
durchziehen. Aus seinem Rachen strömen Gifte aller Art, seine Ausscheidungen
töten unsere Erde. Seine lockende Stimme ist allgegenwärtig. Ohrengängig stößt
sie in die Gehirne der Menschen. Kein Wunder also, wenn die Menschen dem Götzen
nach dem Maul reden.
Sein Körper besteht aus Teer, Beton, Plastik,
Plutonium, Drogen, Giften, Granaten, und Panzern. Allein seine Beine bestehen
aus Produkten, die unser Leben erhalten.
Der Götze wächst mit jeder Verschwendung, jedem
Unfall, jeder Katastrophe. Egal ob unsere Zähne verfaulen, unsere Gerätschaften
verschleißen - jedes Unglück das Geld bewegt, bläht ihn auf.
Wenn es uns allen gut ginge, wäre dies schlecht für
den Götzen. Würden wir uns gar auf die Dinge beschränken, die uns angemessen
und förderlich wären - ginge es dem Götzen sogar sehr, sehr schlecht Früher, im
Paradies, war der Götze sogar völlig unbekannt.
Da waren einmal zwei Bauern. Eines Tages fing es an
zu regnen. Doch nur auf dem Land des einen Bauern regnete es wie gewöhnlich Wasser, auf dem Land des anderen fielen
Geldstücke vom Himmel.
Die Aufregung war groß und Familie und Gesinde
rannten tagelang mit großen Säcken herum, um das Geld auf den Feldern
einzusacken. Die zuvor eingebrachte Ernte warfen sie auf den Misthaufen, um in
Scheunen und Keller Platz für das viele
Geld zu schaffen. Sie schlachteten das Vieh und stopften auch die Ställe voll
Geld. Sie waren wie von Sinnen. "Wir sind reich!", schrien sie und
hatten glänzende Augen.
Das Gesinde verschwand bald in dunkler Nacht mit
einigen Geldsäcken, ebenso die großen Kinder des Bauern. Sie hinterließen
Briefe, in denen es hieß, sie hätten es nicht mehr nötig, sich die Hände
schmutzig zu machen. Da luden auch der Bauer und die Bäuerin eine Fuhre Geld
auf einen Wagen und fuhren damit in die große Stadt, um ein angenehmeres Leben
zu beginnen.
Auf dem anderen Bauernhof, auf dem es nur Wasser
geregnet hatte, war die Enttäuschung dagegen groß. "Was haben wir nur
getan, dass es bei uns nur gemeines Wasser regnet?", schrien sie zum
Himmel und konnten das Glück ihrer Nachbarn nicht fassen. Bis diese nach
wenigen Tagen begossenen Hunden gleich wieder aus der Stadt zurückkamen, das
viele Geld hatte in der Stadt keinen Wert gehabt.
Es wurde ein harter Winter für die Bauersfamilie,
denn die Ernte war vernichtet, das Vieh geschlachtet. Es blieb ihnen nichts
anderes übrig, als in ihrem Hunger das Geld zu essen. So gab es monatelang zum
Frühstück Geldsuppe, mittags Geldknödel,und abends
einen Sterz aus Geldstücken. Wie man sich erzählt, haben die Kinder des Bauern
heute noch Bauchschmerzen davon.
Vor vielen Jahren, als in Deutschland noch das Geld
mitregierte, gab es wieder einmal eine der alle paar Jahre wiederkehrenden
Wirtschaftskrisen. Die Bevölkerung litt unter Arbeitslosigkeit und die Reichen
im Land sagten, es täte ihnen leid. Tatsächlich konnte diesen die
Arbeitslosigkeit nur recht sein, die Löhne konnten gekürzt und die Arbeitszeit
verlängert werden. Wer Arbeit hatte, getraute sich nicht mehr aufzumucken, aus
Angst, gegen einen Arbeitslosen ausgetauscht zu werden. Kurz: die
"Arbeitsmoral" stieg, die Krankmeldungen gingen zurück, denn alle
hatten Angst, unangenehm aufzufallen.
In jener Zeit wurden in einer Maschinenfabrik fünf
Arbeiter zum Chef gerufen. Besorgt gingen die fünf ins Büro, da sie meinten,
nun gekündigt zu werden.
Der Chef begrüßte sie aber freundlich und bot jedem
eine Zigarre an. Er lobte die Arbeiter, weil sie nie zu spät kämen, gerne
Überstunden machten und auch nicht in der Gewerkschaft waren. Aus diesen
Gründen habe er sie ausgewählt, um für ihn eine wichtige Arbeit zu erledigen.
Er holte Pläne aus einer Schublade und erklärte, es handele sich um eine neue
Maschine.
Die Arbeiter sagten, verwirrt von dem freundlichen
Empfang, ohne Zögern den Bau der Maschine zu.
Als sie aber später in Ruhe die Pläne studierten,
bekamen sie es mit der Angst. Offensichtlich sollten sie dem Chef einen
automatischen Arbeiter bauen, eine Maschine, die ihre normale Arbeit später
machen sollte.
Auf zittrigen Beinen gingen die fünf Arbeiter in
ein Wirtshaus, um ihren Kummer zu ertränken. Bald wandelte sich ihr Schrecken
in Zorn über die Dreistigkeit ihres Chefs. Sie beschlossen ein-stimmig, diese
Maschine auf keinen Fall zu bauen. Stattdessen entwarfen sie Pläne für eine
andere Maschine und waren bester Laune.
Nach ein paar Wochen meldeten sie im Büro, dass die
Maschine nun fertig sei und der Chef sie besichtigen könne. Dieser fand es aber
gar nicht nötig, der Einladung zu folgen, seine Sekretärin mußte den Arbeitern
die Kündigung bringen. Er benötigte sie ja jetzt nicht mehr, denn er hatte ja
nun seinen automatischen Arbeiter, dachte er.
Die fünf Arbeiter hatten aber eine automatische Chefmaschine gebaut.
Beim Schnappen nach einer Fliege schnellte einmal
ein Fisch so hoch aus dem Wasser, dass er in einer Astgabel hängenblieb.
Schnell sprach es sich herum, dass es auf einem
Baum etwas Ungewöhnliches zu sehen gab. Im Nu war der Baum voller Vögel, die
alle dabei sein wollten.
Da alle drängelten und der Platz eng wurde,
passierte es, dass ein paar Vögel den Fisch unfreundlich zur Seite stießen, um
sich einen besseren Platz zu verschaffen.
Der Fisch rutschte aus der Astgabel und fiel zurück
ins Wasser, doch in dem großen Gedränge blieb auch das unbemerkt.
Die Vögel rempelten einander noch eine ganze Weile,
um sich einen vorteilhaften Platz zu verschaffen. Es dauerte erstaunlich lange
bis jemand fragte, was es denn eigentlich zu sehen gibt.
In den Zeiten des großen Überflusses gab es viele
Kranke. Wo es viele Kranke gibt, die Geld haben, findet man stets auch viele
Ärzte, die eifrig Pillen und Salben verschreiben.
In jenen Tagen lebte ein kluger Arzt, der viel Geld
verdiente, aber keine Zeit fand, dieses auch auszugeben. Eines Tages hatte er
die Nase von der vielen Arbeit gestrichen voll. Lange überlegte er, was zu
machen sei.
"Ich darf den Leuten nicht nur Pflaster auf die
Wunden kleben, sondern muß die Ursachen ihrer Leiden bekämpfen!" erkannte
er und faßte einen Plan.
Als am nächsten Tag Herr Huber wieder mit seinen
Magenschmerzen in die Praxis kam, standen keine Pillen, sondern einen Ratschlag
auf dem Rezept. Der nervösen Frau Haferl gab der kluge Arzt ebenfalls keine
Tabletten, der alten Frau Obermeier keine Salbe und dem blassen Oberschüler
Fritz Gaglhofer keine Bestrahlung.
Nach einigen Tagen kamen die Patienten zurück und
zeigten sich von der neuen Therapie begeistert. Herr Huber hatte keine
Magenschmerzen mehr, seit er kraft des ärztlichen Rezeptes seinen Chef dreimal
täglich in den Hintern treten durfte. Frau Haferl war die Ruhe selbst geworden,
nachdem sie eine Hand-granate in die Schnapsabteilung des Supermarktes hatte
werfen dürfen. (Von hier hatte sich ihr besoffener Mann immer seinen Schnaps
besorgt).
Die alte Frau Obermeier brauchte keine Salbe mehr,
seit sie aus dem Altersheim zu ihren Kindern überwiesen worden war und Fritz
Gaglhofer hatte Farbe bekommen, seitdem ihm seine Allergie gegen Latein und
Mathe bescheinigt worden war.
Der kluge Arzt war zufrieden, endlich fand er
die Zeit, sein vieles Geld auch
auszugeben.
Wie man gerüchteweise vernehmen konnte, sei aber
die Belegschaft der Ortskrankenkasse wegen der Bearbeitung der Rezepte in
nervenärztlicher Behandlung, auch mehrere Apotheker habe man bei Amokläufen
beobachtet...
Es gab einmal eine Zeit, da lebten die Menschen im
Überfluß. Obwohl sie mehr als ausreichend mit allem versorgt waren, kauften sie
ständig neue Dinge. Damit dies so blieb, veränderten sich die Waren in den
Kaufhäusern in einem fort. Waren in einem Jahr lange Röcke und weite Hosen
modern, waren es im Jahr darauf bestimmt kurze Röcke und enge Hosen. Genauso war
es bei allen Gerätschaften, den Autos, Möbeln und sogar bei den Häusern. Die
neuen Dinge lockten und die alten landeten auf dem Müll.
Kein Wunder also, dass die Menschen dabei jedes Maß
und Ziel verloren. Folgerichtig machte der Zwang zum ständigen Wechsel auch vor
den Menschen selber nicht halt. Selten hielten Beziehungen länger als ein paar
Jahre, meistens noch viel kürzere Zeit. Die Männer wollten neue Frauen haben,
die Frauen umgekehrt neue Männer. Manche wechselten ihre Partner, wie man heute
die Socken wechselt. Büßen mußten das natürlich die Kinder. Sie wurden
herumgeschoben und wußten oft nicht mehr, wo sie eigentlich hingehörten. Dabei
wurden sie bald noch schlimmer. Auch sie fanden ihre Eltern schnell veraltet
und wollten neue kaufen.
Es dauerte nicht lange, da hatte sich die Industrie
dieser Nachfrage angenommen: in den
Kaufhäusern wurden Kunststoffeltern mit Fernbedienung angeboten.
Erstaunlicherweise begannen sich die Menschen ab
dieser Zeit zu besinnen und ihrer
Verrücktheiten zu schämen. Immer häufiger mieden sie die Warenhäuser und
spielten stattdessen mit ihren Kindern.
Seither ist alles anders geworden.
Herr O. war ein Schullehrer, der seine Arbeit sehr
ernst nahm. Wenn seine Schüler etwas falsch machten, schimpfte er nicht sie,
sondern sagte laut zu sich selber: "Wahrscheinlich habe ich es nicht
richtig erklärt!" Dann erklärte er solange, bis es alle kapiert hatten.
Wen wundert es da, dass es bei Herrn O. nur gute Zensuren gab. Einmal kam ein hoher Herr von der
Schulbehörde, um wegen der guten Noten nach dem Rechten zu sehen. "Herr
O." sagte der Besucher, das geht nicht so weiter! Sie müssen auch
schlechte Noten verteilen! Den guten Schülern die guten, den schlechten
Schülern die schlechten Noten!"
"Aber mein Herr", antwortete Herr O.,
"in meiner Klasse gibt es keine schlechten Schüler. Gäbe es solche, wäre
ich ein schlechter Lehrer!"
So etwas wäre unmöglich, erboste sich der Herr von
der Schulbehörde. Seit jeher sei es üblich, dass es in einer Klasse gute und
schlechte Schüler gibt. Herr O. müsse auf jeden Fall gute und schlechte Noten
verteilen. Ein kleiner Teil der Schüler soll gute Noten bekommen und ein
weiterer kleiner Teil schlechte, die große Mehrzahl der Schüler aber so
mittelmäßige. Wenn sich Herr O. nicht daran hielte, müsse er sich einen anderen
Beruf suchen.
Da war Herr O. sehr traurig. Als er dann auch noch
die schadenfrohen Reden seiner seit langem neidischen Kollegen hörte, ging er
nicht mehr in die Schule.
Doch die Schüler rächten sich an den anderen
Lehrern und brachten ihnen viele schlaflose Nächte. Sie hatten bei Herrn O.
soviel Spaß am Lernen gefunden, dass sie auch weiterhin nur die besten
Leistungen brachten und gut benotet werden mußten. Als sie mit der Schule
fertig waren, wurden auch sie Lehrer und die guten Leistungen ihrer Schüler
brachten die hohen Herrn in den Schulbehörden so sehr in Verzweiflung, dass sie
außer Landes flohen und nie mehr gesehen wurden.
Vor lange Zeit lebten in den Wäldern des Mondes
große Affen, die sich von Früchten, Beeren und Blättern nährten. Da es immer
genug davon gab, waren sie glücklich und gehörten zu den friedlichsten Wesen.
Den ganzen Tag waren sie am Zupfen und Rupfen und nachts schliefen sie auf den
Bäumen.
Bis einmal ein Winter hereinbrach, der nicht mehr
enden wollte. Die Bäume verloren ihre Blätter und auf dem Boden sammelte sich
gefrorenes Wasser. Viele Tiere des Mondes verhungerten, mit ihnen die meisten
großen Affen. Nur den Wölfen und Geiern fehlte es an nichts, denn Aas von verendeten
Tieren gab es genug.
Einige der letzten großen Affen beobachteten
neidisch, wie es sich die Räuber gut gehen ließen. In ihrer Verzweiflung
überwanden sie ihren Ekel und versuchten ebenfalls herumlie-gende Leichen zu
fressen. Schnell wurde aber deutlich, dass ihnen dazu die Reißzähne der Wölfe
fehlten. Ihre Affenzähne waren ideal zum Kauen von Grünzeug geeignet, nicht
aber zum Öffnen von Tierkörpern oder gar zum Zermalmen der Knochen.
Doch lernten sie scharfe Steine und Knochen als
Werkzeug zu gebrauchen. Mit ihren geschickten Greifhänden schabten und sägten
sie fortan mundgerechte Stücke aus den Tierkadavern.
Auch wenn das Aas widerlich schmeckte, so füllte es
zumindest die ausgehungerten Mägen. Nun waren die großen Affen den Wölfen
gleich und konnten auch im Winter überleben. Bald lernten sie mit Steinen und
Stöcken auch lebende Tiere zu töten. So wurden aus den friedlichen Affen
Raubtiere, die in allen anderen Lebewesen nur noch Futter sahen.
Hatten die Affen früher die meiste Zeit des Tages mit
Essen zugebracht und jede Minute ein anderes Häppchen genossen - da eine Beere,
dort eine Frucht - , so brachten ihnen die
langsättigenden Tierleichen eine folgenschwere Veränderung. Der Bauch war voll,
doch der Mund verlangte weiter nach Beschäftigung.
Sie wußten mit ihrer gewonnenen Zeit einfach nichts
anzufangen und so war plötzlich die Langeweile da, die sie die verrücktesten
Dinge ausprobieren ließ. Die Affen lernten zu sprechen, zu prahlen und sich
aufzuspielen. Sie fingen an Dinge zu sammelten und zu horten und erfanden immer
neue Gerätschaften, mit denen sie das Nötige immer schneller und leichter
erledigen konnten und so immer neue Zeit gewannen. Das Bedürfnis ihres Mundes
nach Beschäftigung stillten sie, indem sie den Rauch brennender Blätter in die
Lungen schnauften, zu singen begannen wie die Vögel und zu Schnattern wie die
Gänse. Doch auch das machte sie nicht glücklich. Was ihnen wirklich fehlte,
erkannten sie aber nicht. Sie rafften Dinge aller Art zusammen, um sie zu
horten und töteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, sogar andere
Affen.
Sie machten aus dem Töten einen Zeitvertreib und
erfanden immer schrecklichere Werkzeuge, mit denen sie ihre Arme verlängerten.
Die Raubaffen überzogen den Mond wie eine bösartige Krankheit. In ihrer
Unzufriedenheit plünderten sie die Schätze des Mondes, zerstörten die Wälder,
vergifteten den Boden, das Wasser und die Luft.
Hatten die übrigen Tiere von Natur aus einen
Schaltplan im Kopf, der sie immer artgerecht handeln ließ, so begannen die
Raubaffen sich selber zu bestimmen. Bald glaubten sie keine Tiere mehr zu sein
und über der Natur zu stehen. Sie ernannten sich zu den Herren des Mondes und
zum Maßstab aller Dinge, schufen sich Götter nach ihrem Bilde und heckten
fortwährend neue Pläne aus, ihre Artgenossen zu steuern und den Mond zu
kontrollieren. Als sie erkannten, dass sie wie jedes Tier ein Teil der Natur
waren und ohne sie nicht leben konnten, war es bereits zu spät.
Seit dieser Zeit ist der Mond so tot, wie wir ihn
kennen.
Jo hatte es satt! Obwohl er seit Wochen große Bogen
um aktuelle Druckerzeugnisse machte, Radio und Fernsehen mied, stieß er dennoch
laufend auf die Meldungen vom millionenfachen Hungertod in der Dritten Welt.
Er konnte es einfach nicht mehr ertragen, selber
satt zu sein und zu wissen, dass jedes Jahr 17 Millionen Kinder weltweit
verhungerten. Wen er auch fragte, was die Gründe für dieses unglaubliche
Geschehen wären, zuckte die Achseln und faselte etwas von Überbevölkerung und
Rückständigkeit.
Jo wollte es schließlich genau wissen. Er verkaufte
sein Auto und seine Stereoanlage und besorgte sich ein Ticket nach Amerika.
Zuerst wollte er eine dieser Bananenrepubliken besuchen, weil er noch nie
verstanden hatte, dass es in Ländern, in den Bananen wachsen, zu wenig
Nahrung geben konnte.
Als er im Bananenland ankam, sah er auch gleich im
Hafen Berge von grünen Bananen, bereit für die Verladung nach Europa. Jo
erstand ein altes Fahrrad und machte sich auf den Weg, das Land zu erkunden.
Tagelang radelte er durch fruchtbare Ebenen mit
Bananenstauden, soweit das Auge reichte. Dann fand er sie, die Ärmsten der
Armen, sah ihre eingefallenen Wangen und hörte die Kinder vor Hunger weinen.
Sie wohnten auf steinigen, unfruchtbaren Berghängen, und selbst dort hatten nur
die wenigsten winzige Felder, denen sie ein wenig Mais und Bohnen abtrotzten.
"Ich verstehe euch nicht", sagte Jo zu
ihnen. "Warum eßt ihr keine Bananen oder pflanzt auf den Plantagen
Getreide und Gemüse?"
Die Armen reagierten wütend, zeigten ihm den Vogel
und nannten ihn einen verrückten Gringo. Nun erst fielen Jo erst die
bewaffneten Männer bei den Plantagen auf. Er begriff, dass diese nicht den
Armen gehörten. Erbost fragte er einige Bewaffnete, ob sie sich bei ihrem
miesen Job nicht schämten...
Als Jo nach einer Woche Gefängnis wieder entlassen
wurde, gab man ihm ziemlich deutlich zu verstehen, dass er im Bananenland
unerwünscht sei.
Langsam dämmerten ihm die Zusammenhänge, dennoch
wollte er auch noch die anderen Hungerländer Süd- und Mittelamerikas besuchen.
Als er im Kaffeeland ankam, wollte er seinen Augen nicht trauen, es war wie im
Bananenland! In den fruchtbaren Flußtälern und Ebenen wurde Kaffee für die
reichen Industrie-länder geerntet, die Armen mußten dort schuften und besaßen
kein eigenes Land, um Lebensmittel anzubauen. Die riesigen Plantagen gehörten
wenigen reichen Familien oder gar Konzernen in den Industrieländern. Diese
bauten auf ihrem Land Kaffee an, weil der im Export am meisten Geld brachte.
Warum sollten sie Lebensmittel für die Armen anbauen, wenn die doch kein Geld
zum Bezahlen hatten?
Jo fuhr
weiter. Er besuchte das Baumwolland, das Tabakland, das Gummiland, das
Zuckerland, das Kakaoland, das Erdnußland... und das Spritland. Da wurden doch
glatt die Regenwälder abgefackelt, um danach zuckerreiche Pflanzen anzubauen -
um daraus Sprit für die Autos der Reichen zu destillieren... Anderswo wurde der
Dschungel in Weideland verwandelt, damit reiche Menschen im Norden genug
Hackfleisch essen konnten. Jo erkannte nun, warum die reichen Länder im
Überfluß lebten.
Völlig entnervt machte er sich auf den Weg nach
Afrika, denn dort im Sahel würden, wie es hieß, die Menschen wegen der großen
Trockenheit sterben… Den letzten Teil der Reise legte er auf einem Frachtschiff
zurück, das Nahrungsmittel für die Hungernden geladen hatte. Wohltätige
Menschen in den reichen Ländern hatten Geld gesammelt, um die größte Not zu
lindern.
Noch auf dem Schiff erfuhr Jo, was als Rückfracht
geladen werden sollte: Baumwolle und Futtermittel für das reiche Europa. Futter
für Schweinemägen, damit die Europäer billige Steaks essen konnten...
"Es ist also auch hier nicht die
Trockenheit!", murmelte Jo verzweifelt, "was für ein Verbrechen! Wir
senden den Hungernden gnädig Almosen und lassen gleichzeitig unseren Überfluß
in ihrer Erde wachsen!
Jo schämte sich und fuhr wieder nach Europa. Denn
eines hatte er erkannt: die Ursachen für den Hunger waren nicht in den armen
Ländern zu finden, sondern zu Hause.
Ein König spürte, dass sein Volk ihn eigentlich
nicht brauchte und ohne ihn gut zurechtkam und nur recht widerwillig für ihn
arbeitete. Dies gefiel ihm nicht und so grübelte er nach, wie er sich
unentbehrlich machen konnte. Schließlich hatte er eine Idee. Er zerlegte alle
Arbeiten seiner Untertanen wie eine Salami in Scheiben. Hatte bislang jedermann
nach seinem Bedarf gearbeitet, so wurde dies nun durch des Königs Geheiß
anders. Murrten auch anfangs einige Leute darüber, so verstummten sie bald,
denn der König redete ihnen wortreich ein, dass die Zukunft moderne
Arbeitsteilung verlangt und nur durch sie Wohlstand für alle zu erreichen sei.
So kam es, dass es im ganzen Königsreich bald nur
noch Experten gab: für das Errichten von Mauern, das Melken von Kühen, das
Backen von Brot, das Schreiben von Buchstaben, das Rechnen mit Zahlen, das
Überwachen der Menschen usw.
Schon die Buben wurden, kaum dass sie laufen
konnten, in sogenannten "Schulen" für spezielle Fertigkeiten hin
dressiert. Dazu entwickelte der König für jeden Beruf eine eigene Fachsprache,
so dass das Verstehen fremder Tätigkeiten und die Verständigung der Menschen
untereinander zusätzlich erschwert wurde.
Nur der König überblickte alles Tun. Bei ihm liefen
alle Fäden zusammen und niemand konnte die Notwendigkeit seiner Anordnungen in
Frage stellen, bis - ja bis auf die Frauen! Diese hatte der König bei seiner
Aktion übersehen. Sie mußten sich wie eh und je um alles kümmern, ja, sogar
noch mehr als früher, denn ihre hochspezialisierten Männer waren zu nichts mehr
zu gebrauchen.
So blieb alles an den Frauen hängen. Kein Wunder,
dass sie es bald leid waren, Fachidioten als Söhne und Männer zu haben, die
zudem auch noch ständig mit ihrem Spezialwissen prahlten und die Arbeit der
Frauen geringschätzten.
Irgendwann taten sich die Frauen zusammen und
sperrten verärgert den König in einen Kartoffelkeller.
Es dauerte nur kurze Zeit und im ganzen Königsreich
brach ein Chaos aus. Die Experten wurstelten noch solange dahin, wie ihr
Material und ihr Auftrag reichte, danach wußten sie nicht, wie es weitergehen
sollte.
"Was sollen wir nur mit euch anfangen!"
schimpften die Frauen. "Ohne eueren verrückten König seid ihr so hilflos
wie Säuglinge!" Die Männer empörten sich über diese Reden und ließen sich
nicht zu "unspezialisierter Frauenarbeit" überreden, schließlich
waren sie ja Fachmänner und als solche wußten sie, was sie sich schuldig waren.
So kam es, dass an den Frauen auch noch die
Männerarbeit hängenblieb, denn diese saßen nur wartend herum. Schließlich
holten die Frauen resignierend den König wieder aus dem Kartoffelkeller und
alles lief so weiter wie zuvor.
Vor einem großen Gebirge stand einmal sehnsüchtig
eine Maus. Sie wollte zu gerne erfahren,
wie das Land hinter den Bergen aussähe.
Eines Tages schnürte sie ihr Bündel und machte sich
auf, das Gebirge zu überwinden. Es gab keinen Weg und die Maus mußte über
steile Felsen klettern, über Felsspalten springen, reißende Flüsse
durchschwimmen und über endlose Schneefelder stapfen. Tagsüber brannte die
Sonne vom Himmel und nachts tobten eisige Stürme. Die Maus ertrug dies alles,
denn ihr Wille war größer als die Strapazen. Da traf sie eines Tages eine
andere Maus, die soeben dabei war die Berge von der anderen Seite her zu
überwinden.
Die beiden mutigen Mäuse freuten sich über das
glückliche Aufeinandertreffen, suchten sich eine warme Höhle und erzählten sich
vom jeweiligen Land hinter den Bergen.
Als sie wußten, was sie wissen wollen, umarmten sie
sich herzlich und machten sich wieder auf den Weg nach Hause. Dort ange-kommen
wurden sie ein wenig spöttisch gefragt, warum sie ihren Weg nicht zu Ende
gegangen wären.
Da antworteten die Mäuse, es wäre traurig, wenn
jeder jeden Weg selber gehen müßte und nicht auf die Berichte von Artgenossen
vertrauen könne.
Zur Zeit der großen Blindheit geschah es in
Zwinsing, dass die Einwohner einen neuen Bürgermeister wählten. Er war jung und
damisch, Verzeihung dynamisch, und es wartete viel Arbeit auf ihn. Straßen
mußten gebaut, andere verbreitert und begradigt, Sackgassen zu Ringstraßen
verbunden werden. Manches war dabei im Weg: Häuser mußten weichen, gelegentlich
ein Stück Wald. Bäche wurden begradigt und verrohrt und Teile des Flußes
kanalisiert und überbaut. Rollwiderstände wurden beseitigt. Das alte
Kopfsteinpflaster am Marktplatz durch autogerechten Teer ersetzt.
Die Zwinsinger waren stolz auf ihren Marktflecken
und im Nachbarort verfolgte man die Neuerungen mit Bewunderung und Neid. Schluß
war mit der verwinkelten Armseligkeit von früher! Die Touristen kamen
haufenweise und fühlten sich wie zu Hause: Fünf Verkehrsampeln (in jede
Richtung!) und mehrere Supermärkte am Ortsrand - ein Service wie in der
Großstadt! Kein Urlauber nannte Zwinsing mehr ein Kaff oder ein Kuhdorf. Kurz -
man hatte allen Grund als Zwinsinger auf Zwinsing stolz zu sein.
Hotels wurden aus dem Boden gestampft,
Campingplätze angelegt, ein Hallenbad und Sportanlagen gebaut, außerdem ein
Museum für schlechtes Wetter, Schnellfutterkioske aufgestellt und die Zahl der
Volksfeste verdreifacht.
Natürlich stiegen die Preise. Die Semmeln wurden
kleiner, von den Kuchenstücken gar nicht zu reden. Bauplätze wurden gehortet
und von geldigen Stadtleuten preislich ins Uferlose getrieben. Immer mehr
Zwinsinger konnten sich das Leben in Zwinsing nicht mehr leisten und pendelten
- um mehr zu verdienen - in die näch-ste Großstadt.
Auch dadurch nahm der Verkehr immer mehr zu. Wenn
es bei Regenwetter in den Zwinsinger Wäldern von den Bäumen tropfte, drängten
die Urlauber sowieso in panischer Angst in immer länger werdenden Schlangen in
den Ort, um Kaffee zu trinken oder ihr Geld auf andere Weise loszuwerden. So
waren die neuen breiten Straßen bald zu schmal und die tollen blinkenden Ampeln
behinderten den Verkehr bald noch mehr als seinerzeit die alten Straßenbäume.
Es mußte etwas geschehen. Der Bürgermeister wußte
auch Rat. Eine neue Straße um Zwinsing herum mußte her, unbedingt! Viele Grundbesitzer waren auch dafür, schließlich
wurden ihre angrenzenden Grundstücke durch die Straße zu Baugebiet erschlossen.
Warum die anderen Zwinsinger auch für die Straße waren, ist heute nicht mehr
genau nachzuvollziehen. Wahrscheinlich glaubten sie den Märchen des
Bürgermeisters, der ihnen wieder die frühere autoarme Idylle in der Stadt
versprach.
So nahm die Blindheit ihren Lauf und die neue
Straße wurde durch Wiesen und Wald gebrochen und in ihrem Gefolge wuchs in
weitem Umfeld neue Bebauung aus dem Boden: Pensionen, Hotels,
Industrieansiedlungen, Villen für reiche Großstädter und einheimische
Geschäftsleute, Appartements für geldige Rentner.
Die neue Straße brachte natürlich keine Lösung des
innerörtlichen Verkehrsstaues. Nicht nur bei Regenwetter quälten sich wie eh
und je konsumhungrige Urlauber über den gleichmäßigen zwinsinger Teer. So ging
es zu, zur Zeit der großen Blindheit. Und Zwinsings gab es viele damals,
allesamt herrlich gelegen.
Heute denkt niemand mehr daran in Zwinsing seinen
Urlaub zu verbringen, denn Teer, Autogestank und gesichtslose Bebauung hat er
zu Hause das ganze Jahr.
Zu der Zeit, als die Bäume am Giftregen zu sterben
begannen, lebte im großen Wald ein Erfinder namens Karlkarl.
Herr Karlkarl betrachtete sorgenvoll die Wälder und
erkannte, dass es für sie bald zu spät sein würde.Am Giftregen waren die Autos,
Fabriken und Kraftwerke in den großen Städten schuld, aus deren hohen
Schornsteinen Unmengen von Chemikalien in die Wolken geblasen wurden. Mit dem
Regen fielen diese dann weit entfernt auf die Erde und zerstörten die feinen
Wurzeln der Bäume.
Herr Karlkarl grübelte Tag und Nacht, bis er eine
Idee hatte. "Technik muß man mit Technik bekämpfen!", sagte er und
baute einen hohen Schornstein, der bis in die Wolken ragte.
Seine Nachbarn meinten, Herr Karlkarl sei nun
verrückt geworden. Doch dieser ließ sich nicht beirren und verkündete eines
Tages, er wolle nun die größte Erfindung seit der Wärmflasche vorführen.
Es versammelte sich viel Volk und auch das
Fernsehen war dabei. Herr Karlkarl, setzte nach vielen Vorschußlorbeeren und
einem langen Applaus seine Erfindung in Gang, sie funktionierte! Zumindest
machte sie einen Lärm wie ein Dutzend Rasenmäher. Die Zuschauer wollten ihren
Augen nicht trauen - Herrn Karlkarls Erfindung schlürfte mit ihrem hohen
Schornstein, wie mit einem Strohhalm, Wolken in sich hinein.
Aus allen Himmelsrichtungen drängten sich die
Wolken in den Kamin. Gleichzeitig blähten sich unten an der Maschine
Plastiksäcke auf. "Meine Erfindung reinigt die Wolken!", schrie Herr
Karlkarl durch den Lärm. "Sortiert sind die Gifte aus den Wolken wertvolle Rohstoffe, Sie verstehen?"
Die Zuschauer begriffen das Epochale an der
Erfindung und feierten Herrn Karlkarl als Genie. Nun würden die Wälder
gerettet! Am meisten imponierte aber allen, wie jemand aus Dreck Geld machen
konnte.
Als sich die Menge gerade anschickte Herrn Karlkarl
begeistert auf die Schultern zu nehmen, stockte die Supermaschine. Der große
Erfinder winkte ab, als er die erstaunten Gesichter sah.
"Sicher nur eine Lapalie, das werden wir
gleich haben!" sagte er und öffnete die Kamintür. Doch aus der brach ein
Sturzbach hervor. Die Zuschauer flüchteten Hals über Kopf. Herr Karlkarl rief
ihnen beschwörend nach: "Aber bleibt doch! Das sind doch nur die
Kinderkrankheiten! Ich habe nur vergessen, dass in den Wolken auch Wasser
ist!"
Herr Karlkarl gab sich nicht geschlagen und leitete
das Regenwasser mit einem dicken Rohr in die Kanalisation. Dann setzte er seine
Erfindung wieder in Gang. Da alle Regenwolken mit ihrer Giftlast stets
abgesaugt wurden, war von der Zeit an immer schönes Wetter über dem Wald. Als
Herr Karlkarl merkte, dass Regen notwendig ist, waren alle Bäume schon
vertrocknet.
In einen demokratischen
Land geschah es einmal, dass sich die Partei der Großkopfigen als Kandidaten
für das Häuptlingsamt, einen beliebten Schauspieler engagierten. Dieser spielte
die ihm zugedachte Rolle so perfekt, wie es eben nur talentierte Schauspieler
können. In seinen Reden verstand er es, den vorgegebenen Text eindrucksvoll
vorzutragen. Ein Augenaufschlag oder ein Stirnrunzeln, gelegentlich
eingestreutes aufmunterndes Lächeln oder ein bewegtes Vibrato in der Stimme,
verfehlten bei den Wählern nicht ihre Wirkung. Sehr gut kamen die
Scherzeinlagen an, mit denen die Kandidaten der anderen Parteien veralbert
wurden. Kein Wunder, waren die von großen Dichtern verfassten Reden stets noch
mit teuer bezahlten Pointen von berühmten Humoristen gewürzt.
Eigentlich hätte man sich schließlich die Wahl auch
sparen können. Es war klar, dass es keinen beliebteren Häuptlingskandidaten
gab. Die Mehrheit, mit der er dann auch gewählt wurde, übertraf alle
Erwartungen. Für die kleinen Leute im Land brachen damit schlimme Zeiten an. In
den Textbüchern des Schauspielers standen nur Sachen, die den Großkopfigen in
den Kram passten. So wurden die Steuern für die kleinen Leute erhöht und die
für die Reichen drastisch gesenkt. Die Sozialleistungen wurden gekürzt oder
ganz gestrichen, der Militärhaushalt dagegen jedes Jahr verdoppelt. Dennoch
verstand es der Häuptlingsdarsteller, die Politik der Großkopfigen als
Fortschritt für alle auszugeben.
Als nach Ablauf der Amtsperiode wieder Neuwahlen
anstanden, besorgte sich auch die Partei der Kleinköpfigen einen Schauspieler
als Kandidaten.
Bei einem Fernsehduell der beiden Bewerber, kam es
jedoch zu einer folgenschweren Panne. Ein unbekannter Spaßvogel hatte den
Kandidaten dasselbe Drehbuch untergeschoben, so dass beide denselben Text
auswendiggelernt hatten.
Es war zum Schreien komisch - die beiden
Schauspieler plapperten beide dasselbe, lächelten oder runzelten gleichzeitig
die Stirn, oder fuchtelten mit den Händen herum. Die Fernsehzuschauer im ganzen
Land bogen sich anfangs vor Lachen. Doch dann erkannten sie, was man mit ihnen
für ein böses Spiel trieb.
In ihrem Zorn gaben sie keinem der Kandidaten ihre
Stimme. Stattdessen mischten sie sich selber in die Politik ein und mit einem
Male wurde die Demokratie wieder lebendig.
Eines Tages kamen in einem bunten Lastauto Fremde
ins Dschungeldorf. Da sich nur selten Gäste dorthin verirrten, liefen alle
Indianer zur Begrüßung zusammen. Wie es seit jeher Sitte war, teilte man mit
den Besuchern das Essen, freute sich und lachte mit ihnen.
Die Fremden waren aber auch ganz besonders nett. An
alle Mütter verschenkten sie Plastikflaschen und Büchsen mit Babynahrung. An
die Dorfbäume nagelten sie bunte Bilder mit hübschen weißen Frauen, die,
glücklich lächelnd, ihren Babys Flaschennahrung verabreichten.
Die Indianerfrauen staunten, denn ihre Kinder
bekamen bislang immer nur die Mutterbrust. Nun konnten dank der freundlichen
Fremden ihren Babys etwas offensichtlich Besseres bieten. Was sich die weißen
Menschen doch immer ausdachten!
Die Fremden waren längst wieder verschwunden, als
die Büchsen leer waren und die Babynahrung aufgebraucht war. Es gab ein
furchtbares Wehklagen im Dschungeldorf, der natürliche Milchstrom der Mütter
war in der Zwischenzeit fast versiegt. Die Babys hatten aber nicht nur Hunger,
sondern litten auch unter einer merkwürdigen Krankheit.
Die Männer liefen mit ihren wenigen Ersparnissen
und Tauschobjekten in die weit entfernte Stadt, um dort neue Büchsennahrung zu
kaufen. Doch auch das brachte keine Lösung. Immer mehr Babys wurden krank und
starben. Niemand konnte mehr verstehen, dass auf den Plakaten die weißen Kinder
so glücklich lächelten. Lag es an der weißen Hautfarbe oder an was?
Es gab kein Zurück mehr. Die Indianer mußten für
einen Hungerlohn auf den großen Plantagen Arbeit suchen, nur um weiter Nahrung
für ihre Babys kaufen zu können. Doch diese starben nicht nur aus Hunger. Ein
Arzt stellte fest, dass es am Trinkwasser lag. Es fehlten die hygienischen
Voraussetzungen wie bei den Weißen in den großen Städten. Mit dem Wasser und
den unzureichend gereinigten Saugern und Plastikflaschen nahmen die
Indianerkinder Krankheitskeime auf, an denen die meisten schließlich starben.
Dennoch fahren auch heute noch bunte Lastautos in
den armen Ländern von einem Dorf zum anderen. Es heißt, Leute, die etwas
verschenken, können keine Mörder sein.
Da war einmal ein König, der Musik über alles
liebte. In seinem Schloß beschäftigte er ein ganzes Orchester, das ihm, wann
immer es gerade wünschte, die herrlichsten Konzerte gab. Außerdem hatte er auch
noch einen Barden, der ihm täglich lustige und freche Lieder komponierte und
vortrug.
Da tauchte eines Tages ein Zauberer auf, der von
sich sagte, er sei der größte Magier der Welt und könne mit seiner Kunst jeden
Wunsch erfüllen.
"Ich höre so gerne Musik", sagte der
König. "Aber meine Musiker schlafen in der Nacht und essen den halben Tag
statt zu musizieren. Ach, hätte ich doch nur ein zweites Orchester und einen
zweiten Barden!"
Ein Orchester und einen Barden könne er zwar nicht
herbeizaubern, sagte der Zauberer. Er habe aber etwas anderes für den König.
Aus einem großen Sack holte er einige merkwürdige Geräte hervor. Dann bat er
den König, seine Musiker spielen zu lassen.
Der König erfüllte den Wunsch und der Zauberer
setzte seine Geräte in Betrieb.
Nach dem Konzert geschah dann die große Zauberei:
aus einem trichterförmigen, hölzernen Mund, der mit einer Schnur an den Geräten
des Magiers verbunden war, ertönte Musik. Der König und seine Musiker waren
sprachlos. Das zuvor gespielte Konzert erklang nun ein zweites Mal, ohne dass
auch nur ein Mensch ein Instrument angerührt hätte.
Die Musik sei nun jederzeit abrufbereit, erklärte
der Zauberer und deutete auf ein sich drehendes Ei in dem Zaubergerät. Damit
könne der König jeden Ton einfangen und ertönen lassen, wann immer er dies
wünsche.
Der König war begeistert! Er belohnte den Zauberer
reichlich und fing mit dem Zauberei die Töne seiner
Musiker ein. Nach einigen Wochen, als sie all ihre Musikstücke gespielt und der
Barde alle seine Lieder gesungen hatte, teilte ihnen der König mit, er würde
sie nun nicht mehr benötigen, denn sein Zauberei könne nun ebensogut was sie
konnten. "Ohne schlafen und essen zu müssen!", fügte der König dazu.
So wurden die Musiker und der Barde arbeitslos und
mußten in ihrer Not das Land verlassen. Der König hingegen hatte was er wollte.
Für ihn hatte sich ein Traum erfüllt. Tag und Nacht ließ er aus dem hölzernen
Mund seine liebsten Konzerte und Balladen erklingen.
Einige Monate lang war der König der glücklichste
aller Könige. Doch dann kam es wie es kommen mußte - der König konnte keine
Musik mehr hören!
Die süssesten Klänge wurden ihm zu unerträglichem
Gedudel. Er stopfte sich in seiner Verzweiflung Erbsen in die Ohren, dann
Bohnen und schließlich Semmelteig. Doch alles half nichts - die Musik war immer
noch zu hören. Schließlich bekam der König einen Tobsuchtsanfall und
zertrümmerte das Musikei mit seinem Nachttopf.
Endlich war es wieder ruhig im Schloß und der König
fiel in einen langen Schlaf. Als er nach Wochen wieder erwachte, war er nicht
mehr der Alte. Er hatte seine liebste Sache verloren: die Freude an der Musik.
Da war einmal ein kleiner dicker König, der den
ganzen Tag in seinem schnuckligem Schloß vor einer
Waschmaschine saß. Nichts machte ihm soviel Freude wie dieses Sitzen und auf
die Trommel starren. Wenn sich diese drehte, war er glücklich, wenn das Wasser
durcheinander wirbelte, wenn durch die Zugabe von Waschpulver das Wasser zu
schäumen begann, aber auch darüber, wenn er auf Knopfdruck alles abpumpen
konnte. Einmal fragte ihn die Königin, warum er nicht Wäsche in die Trommel
gab, seine Unterhosen hätten dies schon lange nötig.
Da runzelte der kleine König seine Stirn und sagte,
dass er von seiner Gemahlin gerne mit mehr Würde behandelt werden wolle, denn
schließlich sei er keine Wäscherin und habe für derart niedrige
Beschäftigungen, wie das Waschen von Kleidung, kein Interesse. Was ihn alleine
interessiere seien die großen Umwälzungen in der Trommel, ihr Einschäumen und
Trockenlegen.
Da die Königin ihren Gatten aber gut kannte, nahm
sie ihm seine wenig freundliche Rede nicht übel, tätschelte ihm die Wange und
küßte ihn auf die Stirn. "Es war ja nur ein Vorschlag. Wenn dich die leere
Trommel schon auf so tiefschürfende Gedanken bringt, dann könnten deine
Beinkleider noch viel tiefere auslösen!"
Der König winkte ab. Doch als er wieder alleine
war, reizte es ihn doch, den Vorschlag seiner Frau auszuprobieren. Er legte
seine königlichen Gewänder ab, entledigte sich seiner himmelblauen Pumphosen
und steckte sie in die Waschmaschine.
Der Vorschlag seiner Frau war wirklich gut gewesen,
was jeder verstehen wird, der einmal eine hellblaue, königliche Unterhose
zwischen dem Schaum einer drehenden Waschtrommel beobachtet hat. Diese
neuartigen Umwälzungen gefielen dem König noch mehr, als sein altes
Waschprogramm. Seit dieser Zeit verbringt er seine Tage (und oft genug auch die
Nächte) ohne Unterhosen vor der Waschmaschine. Die Königin enthält sich seither
aller Ratschläge.
Da
war einmal einer mit einer tiefen Falte auf der Stirn und einem zynischen Mund.
Er führte dauernd Selbstgespräche und spottete über alles, auch über sich
selber, denn alles war ihm ohne Wert. Glücklich? Nein, glücklich war er nicht.
Er hatte alles, wusste alles, konnte schlafen, solange er wollte und Arbeit war
ihm fremd. Er verbrachte lange Zeit im Bett, obwohl er weder Müdigkeit noch
Schlaf kannte. Er war immer wach und der Schlaf, der süße kleine Tod, war ihm
so fremd, wie der große. Es gab für ihn keine Zeit und so war er dazu verdammt
ewig zu sein. Er lebte irgendwo zwischen den Atomen oder zwischen den Galaxien,
es kommt nicht darauf an, in einem weiten Raum, in einem Wolkenhimmel, weißblau
und sauber, bei angenehmen Temperaturen und mittlerer Luftfeuchtigkeit und ich
will ihn einmal einen Gott nennen, weil das ein Begriff ist, mit dem wir Bayern
etwas anfangen können.
Irgendwann,
man kann nicht sagen am Morgen oder am Abend, denn es gab in diesem Himmel
keinen Tag und keine Nacht und Zeit ja sowieso nicht, ging der Gott in seinen
Hobbykeller (auch das ist nur so ein Name für etwas, wovon wir keinen Begriff
haben) und beschloss eine Welt zu erschaffen, die so sein sollte, wie er sie
sich erträumte: mit Anfang und Ende, mit Geburt und Tod, Tag und Nacht und
Hunger und Sattheit und natürlich mit Zeit, grad so eben, wie ein Leben sein
muss, damit man es lieben kann...
Er
nahm einen glühenden Batzen Glas aus einem Ofen und schleuderte ihn zum
Abkühlen in den Weltraum, in den Anziehungsbereich einer Sonne, damit
er nicht irgendwohin entschwände. Die Gravitation des Sterns zwang den Batzen
in eine Kreisbahn um ihn und langsam, der Batzen drehte sich auch noch um sich
selber, bildete sich außen eine Haut.
„Na
schön, dann drehst du dich eben“, sagte der Gott, „es wird schon zu was gut
sein, wenn das Licht von der Finsternis getrennt wird und zwischen hell und
dunkel wechselt.“ Und übermütig versetzte er dem Batzen noch einen Stoß mit
einer Art Billardstock, damit er sich noch schneller drehe, doch traf er ihn
nicht richtig und so fing er der Batzen an zu eiern und stellte sich schräg zur
Sonne, womit auf dem sich zur Kugel rundenden Batzen wechselnde Jahreszeiten
entstanden.
Der
Gott fand das Ergebnis ganz reizvoll und schaute es sich eine Weile an, also
eine halbe Ewigkeit vermutlich. Ein Gedanke führte zum einem anderen und so
sinnierte der Gott vor sich hin, sein Blick ging ins Leere, „Goaßgschau“ nennt
man das in unseren Breiten. Er sah mit offenen Augen so wenig, wie mit
geschlossenen und vergaß schnell, was er eigentlich wollte. Aber erstmals wurde
er ein wenig müde dabei, denn erinnern wollen ist auch für einen Gott
anstrengend. So fiel er in eine Art Schlaf, der kein richtiger Schlaf war,
sondern mehr ein Dösen, doch es war ihm nicht unangenehm. Später – nach ein
paar Ewigkeiten - fiel sein Blick wieder auf die Kugel, die er zu der
Sonne geworfen hatte und erinnerte sich ein wenig und es schien als würde er ein
wenig grinsen, denn sein sein altes Vorhaben schien ihm ziemlich
kindisch gewesen zu sein und nicht der Mühe wert. „Warum soll ich irgendetwas
schaffen? Was spielt es für eine Rolle, ob ich es mache oder nicht?“ dachte der
Gott und fand es peinlich, dass er sich mit derartigen Spielereien beschäftigt
hatte. Und so wandte er sich ab und überließ die Kugel der Zeit. Als er sich
irgendwann wieder mit der Kugel beschäftigte, erschrak er sehr, denn auf ihr
lebten Wesen, die wie er sein wollten und ewig leben.
Da war ein Land und die Menschen darin lebten für
sich allein, immer bestrebt, auf niemanden angewiesen zu sein. Sie waren
fleißig und so ernährte das Land sie auch. Jeder arbeitete an seinem privaten Glück
und ansonsten waren sie einander gleichgültig.
Da tauchte eines Tages aus einem Loch ein
furchtbarer Wurm auf, viel zu groß, als dass ihn ein einzelner Mensch hätte
vertreiben können. So mußten die Menschen ohnmächtig zusehen, wie das Untier
die Früchte ihrer Arbeit verschlang.
In ihrer Not rückten die Menschen zusammen und
beschlossen zukünftig miteinander zu leben. Sie bauten ihre Häuser zusammen in
ein Dorf, verrichteten gemeinsam die notwendige Arbeit und merkten zu ihrer
Überraschung, dass es schön ist gemeinsam zu arbeiten und geradezu glücklich
macht, wenn man anderen helfen kann.
Als irgendwann einmal der üble Wurm wieder aus
seinem Loch kroch, standen da die Menschen zusammen ohne Furcht. Da wurde der
Wurm klein wie ein Regenwurm und versuchte sich schnell wieder zu verkriechen.
Doch es kam ein kleiner Vogel geflogen und fraß ihn auf.